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„Strafverfolgung ist Staatsaufgabe“
Das Gespräch führte Margit Hufnagel
 |  aktualisiert: 09.08.2016 03:25 Uhr

Darf ich einen Macheten-Mörder umfahren? Muss ich zur Polizei gehen, wenn ich erfahre, dass jemand eine Straftat plant? Die Antwort lautet: Jein. Hans Theile, geb. 1971, ist Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Konstanz und geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtstatsachenforschung an der Universität Konstanz.

Frage: Herr Theile, in Reutlingen ermordete ein Mann eine Frau mit einer Machete. Gestoppt wurde er von einem Autofahrer. Zunächst hieß es, der Fahrer habe ihn bewusst angefahren. Später lautete die Mitteilung, der Täter sei dem BWM-Fahrer vors Auto gelaufen. Damit bleibt dem wohl juristischer Ärger erspart. Dabei wäre er nach dem landläufigen Gerechtigkeitsverständnis ein Held. Wie passt das zusammen?

Hans Theile: Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeitsverständnis decken sich keineswegs immer. Strafverfolgung und Gefahrenabwehr obliegen nun einmal zunächst dem Staat. Ausnahmen gibt es – die sind aber wegen dieses staatlichen Gewaltmonopols begründungsbedürftig.

Im konkreten Fall heißt das: War das Handeln des Mannes strafrechtlich gerechtfertigt? Gibt es einen Rechtfertigungsgrund? Für die Frage der Rechtfertigung spielt es übrigens erst einmal keine Rolle, ob der Autofahrer den Täter absichtlich oder unabsichtlich anfuhr. Die Probleme liegen tatsächlich auf der Ebene der Rechtfertigung.

Aber handelt es sich in so einem Fall nicht um Notwehr?

Theile: Das kommt sehr auf die Umstände an. Wenn das Anfahren in der unmittelbaren Angriffssituation erfolgt, dann wäre dieses Verhalten nach dem Notwehr-Paragrafen 32 des Strafgesetzbuches gerechtfertigt, denn der Autofahrer hätte einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von bedrohten Personen abgewendet. Der Autofahrer hätte auch in dieser Weise vorgehen dürfen, wenn der Macheten-Täter weitergezogen wäre, um weitere Personen zu verletzen. Dann greift zwar nicht der Notwehr-Paragraf, wohl aber der sogenannte rechtfertigende Notstand nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch. Dieser gestattet die Abwendung von Dauergefahren, also Gefahrensituationen, in denen möglicherweise erst künftig ein Schaden eintritt, aber schon jetzt ein Handeln zur Unterbindung dieser Gefahr geboten ist.

Anders wäre es wiederum, wenn keine solche Angriffs- oder Gefahrensituation mehr vorgelegen hätte. Dann würden weder Paragraf 32, noch Paragraf 34 greifen. Und auch nicht das sogenannte private Festnahmerecht nach Paragraf 127 Strafprozessordnung, das nur das Festhalten einer Person gestattet, aber eben nicht das Zufügen körperlicher Verletzungen. Allerdings könnte der Autofahrer gutgläubig davon ausgegangen sein, dass der Täter weitere Personen verletzen wollte. Dann liefe es allenfalls auf eine fahrlässige Körperverletzung hinaus, wenn man ihm vorwerfen könnte, er habe keine Gründe für eine solche Annahme gehabt.

Wie hätte es in einem anderen Fall ausgesehen? Nehmen wir das Beispiel Würzburg: Ein Mann verletzt andere Zuggäste mit einer Axt. Darf ich dem eine Flasche über den Kopf schlagen?

Theile: Ja, hier dürfen Sie auf jeden Fall eingreifen. Der Notwehr-Paragraf verlangt, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt. Aber sobald der vorliegt, darf man im Rahmen des Erforderlichen alles machen, um diesen Angriff abzuwehren. Da gibt es auch keine Verpflichtung, zu überlegen, ob die Abwehr angemessen ist. Der Gesetzgeber hat das ganz bewusst so eingerichtet.

Das Notwehrrecht dient nicht nur dazu, den Angegriffenen zu schützen, sondern auch dazu, die gesamte Rechtsordnung zu bewahren. Das führt dazu, dass man sehr weitreichende – vielleicht sogar bedenklich weitreichende – Befugnisse hat. Und der Gesetzgeber erlegt es einem nicht auf, zu prüfen, ob das Abwehrverhalten angemessen ist. Die Folgen trägt nach dem gesetzlichen Verständnis allein der Angreifer – der hätte ja nicht angreifen müssen.

Viele Menschen rüsten aus Angst vor Gewalttaten auf. Wie stark darf ich mich bewaffnen?

Theile: Hier hat das Waffengesetz eindeutige Regeln. Dort kann ich genau nachsehen, welche Waffen ich besitzen darf. Man muss aber auch sagen: Statistisch ist das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden oder gar mit Terror in Berührung zu kommen, dermaßen gering, dass es aberwitzig wäre, sich bis auf die Zähne zu bewaffnen. Davon ist die derzeitige Situation weit entfernt.

Welche Möglichkeiten haben Bürger, einzugreifen? In manchen Orten organisieren sich Bürgerwehren.

Theile: Grundsätzlich sind Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Aufgabe des Staates. Man hat also die Polizei zu rufen und sich nicht in Bürgerwehren zu organisieren.

Wann bin ich verpflichtet, die Polizei zu rufen? Im Münchner Amoklauf wurde ein angeblicher Mitwisser vorübergehend festgenommen.

Theile: Es gibt einen Straftatbestand, der nennt sich „Nichtanzeige geplanter Straftaten“. Der nimmt jeden in die Pflicht, die Polizei zu informieren, wenn er Kenntnis von schweren Straftaten erhält. Da geht es aber nicht um jedes dahingesagte Wort, sondern um konkrete Informationen. Ansonsten ist man nur sehr beschränkt verpflichtet, Straftaten zu verhindern. Foto: Theile

 
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