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„Strafgesetze könen nicht eine einzige Abtreibung verhindern“
Das Gespräch führte Veronika Lintner
 |  aktualisiert: 26.06.2019 02:11 Uhr

Der Paragraf 219a ist bekannt als Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Kristina Hänel wurde deshalb angeklagt. Die Ärztin kämpft gegen das Gesetz, mit dem sich ihrer Meinung nach keine einzige Abtreibung verhindern lässt

Frage: Sie kämpfen gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, besser bekannt als das „Werbeverbot für Abtreibung“. Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da, was das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch betrifft?

Kristina Hänel: Da ist Deutschland nicht so weit vorne, wie man vermuten würde. Das Gesetz, das es verbietet, sachliche und seriöse Informationen zu geben, ist ja einzigartig in Europa. Es gibt natürlich noch ein paar Länder mit strengeren Regelungen. Sogar das sehr katholische Irland hat inzwischen eine deutlich liberalere Gesetzgebung als Deutschland.

Abtreibungsgegner stellen sich vehement gegen Ihre Forderungen, sie machen auch im Internet mit allen Mitteln Stimmung gegen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Aus diesen Kreisen wurden Sie angezeigt, weil Sie auf Ihrer Homepage vermerkt haben, dass Sie Abbrüche vornehmen. Woher kommt dieser Widerstand?

Hänel: Diese sogenannte Lebensschutzbewegung, das sind verschiedene Gruppierungen, die zusammen eine Macht ergeben. Die auch auf die Politik Einfluss nehmen und wahrscheinlich auch hinter diesen Einzelpersonen stehen, die Anzeige gegen Ärzte erstatten. Sie haben bewirkt, dass Ärzte Informationen über Abbrüche aus dem Netz genommen haben. Laut Gesetz darf jeder im Internet veröffentlichen, was er über Schwangerschaftsabbrüche denkt, nur wir Ärzte dürfen als Fachleute nicht informieren. Damit haben diese Abtreibungsgegner schon viel erreicht.

Über Ihren Kampf gegen den Paragraf 219a haben Sie nun ein Buch verfasst, Sie sind gerade auf Lesereise durch Deutschland. Wie haben Sie da Bayern erlebt? In einer Stadt wie Augsburg gibt es keinen Arzt, der offiziell Abbrüche vornimmt.

Hänel: Die Versorgungslage ist bei jeder Lesung ein großes Thema. Die Situation in vielen Regionen ist so schwierig, dass Frauen weite Wege auf sich nehmen müssen. Eine der ersten Zuschriften, die ich als Zuspruch bekam, war von einer Frau aus Bayern, der schon in der Beratungsstelle direkt gesagt wurde: „Dann gehen Sie doch nach Österreich.“ Dort kostet der Abbruch 800 Euro. Dafür nehmen die Frauen einen Kleinkredit auf. Das geht so nicht.

Wie lässt sich das ändern?

Hänel: Wenn wir eine Regierung hätten, die ihre Pflicht wahrnimmt und das, was im Gesetz festgeschrieben ist, durchsetzt, also die flächendeckende, ambulante und stationäre Versorgung, dann wäre es ein Auftrag von oben. Das funktioniert aber momentan nicht. Heute nehmen das die Studierenden der Medizin selbst in die Hand: Meine Praxis ist fast ausgebucht mit jungen Leuten, die bei mir hospitieren und lernen wollen.

Der Paragraf 219a stammt aus dem Jahr 1933. Wieso ist er noch immer wirksam?

Hänel: Eine schwierige Frage. Manche sagen, er sei einfach vergessen worden. Andere wiederum argumentieren, er dient ganz bewusst dem Lebensschutz. Eine andere Theorie wäre, dass dieses damalige Rollenbild – die Frau wird als Mutter gedacht und nicht als eigener Mensch – dadurch tradiert und bewahrt worden ist.

Der Bundestag hat sich auf einen Kompromiss geeinigt: Die Bundesärztekammer soll nun eine öffentlich zugängliche Liste mit Ärzten führen, die Abbrüche vornehmen. Warum genügt diese Liste nicht?

Hänel: Viele Ärzte werden sich nicht auf die Liste stellen lassen, auch wegen des Tabus. Und es löst nicht das Problem, dass Fachleuten verboten wird, über etwas zu informieren, von dem sie am meisten verstehen.

Die Abtreibungsdebatte ist besetzt mit Kampfbegriffen. Sie betonen, dass es Abtreibungsgegner eigentlich gar nicht gibt. Was meinen Sie damit?

Hänel: Wenn Menschen sich als Abtreibungsgegner bezeichnen, tun sie ja so, als ob es Abtreibungsbefürworter gäbe. Der Mensch, der wirklich Abtreibungsgegner ist, ist die Frau selbst. Die Betroffenen sind an sich gegen den Abbruch und wären wirklich glücklich, wenn sie einen anderen Weg finden könnten. Aber den gibt es für sie in diesem Fall nicht. Deswegen finde ich es absurd, dass Menschen betonen, sie sind gegen Abtreibung. Dann müssten sie fordern: Wir müssen Verhütungsmittel zur Verfügung stellen, wir müssen eine kinderfreundliche Gesellschaft schaffen. Oder: Wir helfen, dass die Bedingungen für Frauen besser werden, dass es genug Hebammen gibt. Damit würden sie dazu beitragen, dass es womöglich weniger Abtreibungen geben würde. Es gibt Medizinstudien, die das belegen. Durch Strafgesetze kann ich dagegen nicht eine einzige Abtreibung verhindern. Deshalb gehört der Begriff Abtreibungsgegner im Grunde zu den „alternativen Fakten“.

Was passiert, wenn Frauen nicht die nötigen Informationen haben?

Hänel: Es hat zur Folge, dass sie später zum Abbruch kommen, zum Teil in die Illegalität gehen oder ins Ausland. Und dass man sie ihrer Rechte beraubt. Eine Frau wird nicht deswegen ein Kind bekommen, nur weil ich ihr Informationen vorenthalte. Man hat Frauen lesen und schreiben beigebracht, und dann sagt man plötzlich: Frauen dürfen nicht lesen, was sie selbst betrifft und ihren Körper.

 
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