Dieter Wrobel ist Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in Würzburg. Zu seinen Aufgaben gehört es, zu forschen, was man Kindern über ihre Muttersprache beibringen soll. Dazu gehört Rechtschreibung. Die Einführung der ursprünglichen Reform jährt sich zum 15. Mal, mittlerweile hat es mehrere weitere Reformansätze gegeben. Sie haben Schreibregeln neu gefasst, die sich nicht durchsetzten.
Dieter Wrobel: Die Rechtschreibreform gilt zunächst für den behördlichen Bereich. Ich bin Beamter und halte mich in meiner dienstlichen Korrespondenz daran. Ehrlich gesagt, wäre es viel zu kompliziert, es privat anders zu machen und mit zwei Rechtschreibungen zu hantieren.
Wrobel: Das Ziel der Reform war, das Erlernen der Rechtschreibung zu erleichtern und insofern Ausnahmeregelungen, Unlogisches und Uneinheitliches für Lernende zu vereinfachen. Das ist gelungen, wenn man sich zum Beispiel die Kommaregeln ansieht. In anderen Bereichen ist es nicht gelungen, weil neue Ausnahmeregelungen entstanden sind. Im Grunde bleibt es dabei: Rechtschreibung muss man lernen.
Wrobel: Im Prinzip schon. Aber eine Reform kann das grundsätzliche Problem auch nicht lösen. Es gibt mehr Laute als Zeichen und Buchstaben. Deshalb muss man zu Konventionen und Regeln kommen. Die Reform hat einen Gewöhnungsprozess durchlaufen. Man gewöhnt sich an vieles, auch an eine neue Rechtschreibung.
Wrobel: Das ist schwierig zu entscheiden. Die Angleichung an Wortstämme, wie zum Beispiel bei dem Stängel einer Pflanze, ist sicher vernünftig, weil man die richtige Schreibweise ableiten kann. Es ist für Kinder einfacher, wenn sie eine stimmige Regel lernen. Aber in anderen Bereichen ist die Reform nicht stimmig.
Wrobel: Das tut sie. Und ich denke, darin liegt ein Grund für die Akzeptanzprobleme der Reform zu Beginn. Denn die Menschen fragen sich, wer das Recht hat, unser aller Schreibung zu normieren? Es ist kaum nachzuvollziehen, dass es letztendlich die Politik, der Gesetzgeber ist, der für die Reform verantwortlich ist und die über Rechtschreibung entschieden hat. Dennoch kann man ein Problem nicht in den Griff
bekommen, auch nicht mit der zehnten Reform: Sprache verändert sich ständig, sie ist mehr als Regeln. So gesehen ist die Reform nie fertig und
immer im Fluss.
Wrobel: Meistens gibt es zwei erlaubte Schreibweisen, das vermindert das Verzweiflungspotenzial. Aber man kann am Beispiel von Fremdworten zeigen, dass die Reform die Aufforderung ist, etwas entspannter mit Rechtschreibung umzugehen. Rechtschreibung hat vor allem die Aufgabe, dass Leser und Schreiber sich verstehen. Wenn man das in den Vordergrund stellt, ist gar nicht so viel Normierung notwendig. Ob sie Portmonee schreiben, wie sie es sprechen, oder französisch mit „ai“ spielt keine so große Rolle. Insofern ist Rechtschreibung eher ein Bildungsgut, als Verständigungsgrundlage wird sie überschätzt.
Wrobel: Nein, so nicht. Aber Sie haben beim Schreiben von Urlaubspostkarten oder ihres Einkaufszettels den Duden nicht dabei, das macht kein Mensch. Solange die Menschen, denen Sie schreiben, wissen, was Sie schreiben, ist es egal, ob sie Spagetti oder Spaghetti schreiben.
Wrobel: Rechtschreibung spielt im Schulunterricht nicht mehr die Rolle wie vor 40 Jahren. Die Paukschule von früher ist anderen didaktischen und pädagogischen Anliegen gewichen. Die Fähigkeit 'ich kann nach einer Regel schreiben' wurde entzaubert, der Umgang mit Sprache ist sicher kreativer geworden. Rechtschreiben hat in der Benotung nicht mehr so viel Gewicht. Das ist in Ordnung, Rechtschreibung und ihre Regeln sind kein Selbstzweck, sondern es geht darum, sich verständigen zu können.
Wrobel: Das ist ein Beispiel, wie sich Sprache lebendig weiterentwickelt. Durch fremdsprachliche Einflüsse, Symbole wie die Smileys, Abkürzungen, etc. Da entstand ein eigener Code. Das muss man nicht beanstanden, zumal die neuen Medien eine höhere Geschwindigkeit beim Schreiben erfordern. Das Entscheidende ist, dass sich Sender und Empfänger verstehen.
Wrobel: Die Aufgabe der Schule ist es, Kindern und Jugendlichen beizubringen, dass man sich in unterschiedlichen Lebenssituationen unterschiedlich ausdrückt. Wie im Chat kann ich kein Bewerbungsschreiben formulieren. Das Bewusstsein und das Gefühl dafür beizubringen macht heute gute Schulbildung aus. Sprache und Rechtschreibung sind kein statisches Bildungsgut, sondern etwas, das wir jeden Tag nutzen und das sich weiterentwickelt. Nicht der ist der bessere Schüler oder gar der bessere Mensch, der die meisten Duden-Regeln kennt oder sie im Schlaf anwenden kann. Sprache und Rechtschreibung haben nichts Elitäres, sondern gehören allen. Auch Regeln wurden nicht in Stein gemeißelt, sondern sind von Leuten wie Konrad Duden entschieden worden und verändern sich immer wieder. Das Abendland ist oft untergegangen, es wird dieses Mal auch verkraften.
Dieter Wrobel
Seit 2008 hat Professor Dr. Dieter Wrobel (Jahrgang 1968) den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Würzburg inne. Nach dem Staatsexamen (Fächer: Deutsch und Sozialwissenschaft/Politik) hat er als Studienrat an einer nordrhein-westfälischen Gesamtschule gearbeitet. Danach war er an der Uni Duisburg-Essen tätig. Seine wissenschaftlichen Interessen liegen neben der Leseförderung in der Literaturdidaktik, Schwerpunkt Gegenwartsliteratur. Foto: privat