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„Sprache ist mehr als Regeln“
Das Gespräch führte Carolin Kreil
 |  aktualisiert: 11.08.2013 18:42 Uhr

Dieter Wrobel ist Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in Würzburg. Zu seinen Aufgaben gehört es, zu forschen, was man Kindern über ihre Muttersprache beibringen soll. Dazu gehört Rechtschreibung. Die Einführung der ursprünglichen Reform jährt sich zum 15. Mal, mittlerweile hat es mehrere weitere Reformansätze gegeben. Sie haben Schreibregeln neu gefasst, die sich nicht durchsetzten.

Frage: Herr Professor Wrobel, wie halten Sie es mit der Rechtschreibreform? Halten Sie sich dran oder machen Sie Ihr Ding wie viele andere Erwachsene auch aus Altem und Neuem.

Dieter Wrobel: Die Rechtschreibreform gilt zunächst für den behördlichen Bereich. Ich bin Beamter und halte mich in meiner dienstlichen Korrespondenz daran. Ehrlich gesagt, wäre es viel zu kompliziert, es privat anders zu machen und mit zwei Rechtschreibungen zu hantieren.

Sind Sie zufrieden mit der Reform und weiteren Reformen oder hat sie ihr Ziel verfehlt, wie Kritiker nach wie vor meinen?

Wrobel: Das Ziel der Reform war, das Erlernen der Rechtschreibung zu erleichtern und insofern Ausnahmeregelungen, Unlogisches und Uneinheitliches für Lernende zu vereinfachen. Das ist gelungen, wenn man sich zum Beispiel die Kommaregeln ansieht. In anderen Bereichen ist es nicht gelungen, weil neue Ausnahmeregelungen entstanden sind. Im Grunde bleibt es dabei: Rechtschreibung muss man lernen.

Eigentlich ist alles beim Alten, nur anders?

Wrobel: Im Prinzip schon. Aber eine Reform kann das grundsätzliche Problem auch nicht lösen. Es gibt mehr Laute als Zeichen und Buchstaben. Deshalb muss man zu Konventionen und Regeln kommen. Die Reform hat einen Gewöhnungsprozess durchlaufen. Man gewöhnt sich an vieles, auch an eine neue Rechtschreibung.

Sprache verändert sich dauernd. Wird es für Kinder wirklich einfacher durch eine Reform mit Stichtag?

Wrobel: Das ist schwierig zu entscheiden. Die Angleichung an Wortstämme, wie zum Beispiel bei dem Stängel einer Pflanze, ist sicher vernünftig, weil man die richtige Schreibweise ableiten kann. Es ist für Kinder einfacher, wenn sie eine stimmige Regel lernen. Aber in anderen Bereichen ist die Reform nicht stimmig.

Bleibt die Sprache, die sich ständig verändert.

Wrobel: Das tut sie. Und ich denke, darin liegt ein Grund für die Akzeptanzprobleme der Reform zu Beginn. Denn die Menschen fragen sich, wer das Recht hat, unser aller Schreibung zu normieren? Es ist kaum nachzuvollziehen, dass es letztendlich die Politik, der Gesetzgeber ist, der für die Reform verantwortlich ist und die über Rechtschreibung entschieden hat. Dennoch kann man ein Problem nicht in den Griff

bekommen, auch nicht mit der zehnten Reform: Sprache verändert sich ständig, sie ist mehr als Regeln. So gesehen ist die Reform nie fertig und

immer im Fluss.

Ein Beispiel. Da hat man sich einfallen lassen, dass man Portmonee statt Portemonnaie schreibt, aber Fritteuse statt Frittöse. Das ist zum Verzweifeln.

Wrobel: Meistens gibt es zwei erlaubte Schreibweisen, das vermindert das Verzweiflungspotenzial. Aber man kann am Beispiel von Fremdworten zeigen, dass die Reform die Aufforderung ist, etwas entspannter mit Rechtschreibung umzugehen. Rechtschreibung hat vor allem die Aufgabe, dass Leser und Schreiber sich verstehen. Wenn man das in den Vordergrund stellt, ist gar nicht so viel Normierung notwendig. Ob sie Portmonee schreiben, wie sie es sprechen, oder französisch mit „ai“ spielt keine so große Rolle. Insofern ist Rechtschreibung eher ein Bildungsgut, als Verständigungsgrundlage wird sie überschätzt.

Also sollen wir uns freimachen vom Wunsch, richtig zu schreiben?

Wrobel: Nein, so nicht. Aber Sie haben beim Schreiben von Urlaubspostkarten oder ihres Einkaufszettels den Duden nicht dabei, das macht kein Mensch. Solange die Menschen, denen Sie schreiben, wissen, was Sie schreiben, ist es egal, ob sie Spagetti oder Spaghetti schreiben.

Das ist pragmatisch für den Hausgebrauch. Aber eine Studie hat jüngst aufgezeigt, dass Kinder gegenüber vor 40 Jahren deutlich schlechter rechtschreiben, aber fantasievoller formulieren. Was ist besser?

Wrobel: Rechtschreibung spielt im Schulunterricht nicht mehr die Rolle wie vor 40 Jahren. Die Paukschule von früher ist anderen didaktischen und pädagogischen Anliegen gewichen. Die Fähigkeit 'ich kann nach einer Regel schreiben' wurde entzaubert, der Umgang mit Sprache ist sicher kreativer geworden. Rechtschreiben hat in der Benotung nicht mehr so viel Gewicht. Das ist in Ordnung, Rechtschreibung und ihre Regeln sind kein Selbstzweck, sondern es geht darum, sich verständigen zu können.

Es gibt Bereiche, in denen Jugendliche eine eigene Sprache entwickelt haben, die Erwachsene nicht verstehen. Ich denke an SMS, Mails und soziale Netzwerke. Da wird Sprache zum Spezialwissen.

Wrobel: Das ist ein Beispiel, wie sich Sprache lebendig weiterentwickelt. Durch fremdsprachliche Einflüsse, Symbole wie die Smileys, Abkürzungen, etc. Da entstand ein eigener Code. Das muss man nicht beanstanden, zumal die neuen Medien eine höhere Geschwindigkeit beim Schreiben erfordern. Das Entscheidende ist, dass sich Sender und Empfänger verstehen.

Aber sie müssen sich auch in Schule oder Arbeitswelt verständigen. Kritiker sehen in der Aufgabe von guter Rechtschreibung einen Kulturverlust oder den Untergang des Abendlandes.

Wrobel: Die Aufgabe der Schule ist es, Kindern und Jugendlichen beizubringen, dass man sich in unterschiedlichen Lebenssituationen unterschiedlich ausdrückt. Wie im Chat kann ich kein Bewerbungsschreiben formulieren. Das Bewusstsein und das Gefühl dafür beizubringen macht heute gute Schulbildung aus. Sprache und Rechtschreibung sind kein statisches Bildungsgut, sondern etwas, das wir jeden Tag nutzen und das sich weiterentwickelt. Nicht der ist der bessere Schüler oder gar der bessere Mensch, der die meisten Duden-Regeln kennt oder sie im Schlaf anwenden kann. Sprache und Rechtschreibung haben nichts Elitäres, sondern gehören allen. Auch Regeln wurden nicht in Stein gemeißelt, sondern sind von Leuten wie Konrad Duden entschieden worden und verändern sich immer wieder. Das Abendland ist oft untergegangen, es wird dieses Mal auch verkraften.

Dieter Wrobel

Seit 2008 hat Professor Dr. Dieter Wrobel (Jahrgang 1968) den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Würzburg inne. Nach dem Staatsexamen (Fächer: Deutsch und Sozialwissenschaft/Politik) hat er als Studienrat an einer nordrhein-westfälischen Gesamtschule gearbeitet. Danach war er an der Uni Duisburg-Essen tätig. Seine wissenschaftlichen Interessen liegen neben der Leseförderung in der Literaturdidaktik, Schwerpunkt Gegenwartsliteratur. Foto: privat

 
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