zurück
„Spielen ist erfüllte Zeit“
Der Philosoph aus Fulda: Christoph Quarch
Foto: Nomi Baumgartl | Der Philosoph aus Fulda: Christoph Quarch
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:31 Uhr

Monopoly, Kniffel, Uno, Schach und Rollenspiele. Wir Menschen spielen gerne – ob als Kinder oder Erwachsene. Dabei ist Spielen mehr als nur ein Zeitvertreib. Im Spiel lernen wir unsere Umwelt kennen und entwickeln unsere sozialen Fähigkeiten. Alle alten Kulturen haben das Spiel als heiliges Geschehen und wichtigste spirituelle Praxis gefeiert. Schon Platon lehrte, der Mensch könne sein Leben nicht besser zubringen denn als eine unablässige Folge von Spielen zu Ehren der Götter. „Wenn wir im Spiel sind, vergessen wir nicht nur unser Ego mit all seinen Sorgen, sondern erfahren darin auch eine Freiheit und Lebendigkeit, die uns außerhalb unserer Spielzeiten nicht gewährt sind“, sagt der Philosoph Christoph Quarch. Im Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg wurden kürzlich bei einem Symposium unterschiedliche Perspektiven zu dem Phänomen Spiel zusammengetragen.

Frage: Warum ist Spielen für den Menschen so wichtig?

Christoph Quarch: Friedrich Schiller hat einmal gesagt, der Mensch sei nur da im vollen Sinne Mensch, wo er spielt. Ich glaube er hat recht – und zwar deshalb, weil wir beim Spielen auf besonders intensive Weise lebendig sind. Das liegt daran, dass alle echten Spiele eine doppelte Erfahrung ermöglichen: Einerseits ist man beim Spiel auf innige Weise mit seinen Mitspielern – und Gegenspielern – verbunden, andererseits genießt man dank der Spielregeln eine unglaubliche Freiheit sich auszuprobieren oder darzustellen. Beides zusammengenommen lässt etwas davon zum Vorschein kommen, was den Zauber des Menschseins ausmacht.

Raten Sie also auch Erwachsenen, noch zu spielen?

Quarch: Auch dazu habe ich ein Zitat: Nietzsche: „Reife des Mannes: das heißt, den Ernst wiederzufinden, den man als Kind hatte; beim Spiel.“ Damit ist eigentlich alles gesagt: Unbedingt sollten Erwachsene spielen, weil sie beim Spiel ihre brachliegenden Lebendigkeitspotenziale entfalten können. Wir denken alle viel zu sehr in Kategorien von Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit. Beim Spielen ist man von allen Zwängen zur Produktivität und Funktionalität befreit. Da darf man einfach da sein und sich vom Spiel in Bann schlagen lassen.

Wie viel Spielzeit braucht ein Kindergartenkind?

Quarch: Gerade kleinen Kindern sollte man so viel Spielzeit wie möglich gewähren. Kinder lernen durch das Spiel die Welt kennen und haben so die Chance, unterschiedliche Möglichkeiten und Rollen auszuprobieren. Forschungen zeigen, dass Menschen, die als Kind nur wenig oder gar nicht gespielt haben, nur schwer Lösungen finden und nur wenig kreativ sind. Aber: Spielen ist kein pädagogisches Instrument. Es ist kein Mittel zum Zweck. Das Spiel hat seinen Sinn absolut in sich selbst. Denn Spielen ist erfüllte Zeit.

Durch Mittagsbetreuung und Ganztagsschulen verbringen Kinder heute viel mehr Zeit in der Schule. Wie viel Zeit brauchen Kinder zum Spielen?

Quarch: So viel wie möglich. Es ist viel wichtiger, Kinder spielen zu lassen, als ihnen schon im Vorschulalter Fremdsprachen beizubringen. Bildung, die ihren Namen verdient, hat wenig mit Informationsvermittlung oder Aneignung von Fertigkeiten zu tun, sehr viel aber damit, Menschen Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren, in fremde Rollen zu schlüpfen, sich spielerisch aufs Spiel zu setzen. Wer wirklich intelligente Kinder haben will, muss sie spielen lassen. Alles andere ist Unsinn.

Was halten Sie für besser: Klassische oder elektronische Spiele?

Quarch: Ganz klar: Klassische Spiele. Elektronische Spiele sind oft Pseudospiele, die den Spielern weder wirkliche Freiheitsräume öffnen, noch die Erfahrung von Verbundenheit ermöglichen. Beim klassischen Gesellschaftsspiel oder beim Kick auf dem Bolzplatz wird Menschsein als Miteinander (wozu auch Gegeneinander gehört) eingeübt. Auch das Mädchen, das mit seiner Puppe spielt, schafft sich ein lebendiges Du. Das genau gibt es bei elektronischen Spielen nicht. Im Gegenteil: Sie führen in Einsamkeit, Isolation und schlimmstenfalls Sucht – selbst da, wo man vernetzt mit anderen spielt.

Ihr Symposium handelte von der spirituellen Bedeutung des Spiels. Was verbirgt sich dahinter?

Quarch: Ursprünglich waren Spiel und Spiritualität nicht getrennt. Denken Sie an die großen Spiele der Vergangenheit: Die Tragödienspiele in Athen, die Kampfspiele in Olympia, die musischen Spiele in Delphi – sie allen waren heilige Feste zu Ehren der Götter, die selbst als Spieler gedeutet wurden. Spielen hieß vor diesem Hintergrund: Mitspielen im göttlichen Spiel der Welt, resonant sein mit dem Göttlichen. Das ist eine äußerst gesunde Sichtweise, wenn man sie mit dem schrecklichen, oft blutigen Ernst anderer Religionen vergleicht. Ich meine, wir sind gut beraten, die spielerische Komponente in der Spiritualität wieder zur Geltung zu bringen.

Mit welchem Spiel vertreiben Sie sich gerne die Zeit?

Quarch: Ich spiele sehr gerne Fußball, weil ich mich da am lebendigsten fühle. Einen Fußball habe ich auch bei allen Reisen dabei. Als Kind habe ich sehr gerne mit meiner elektrischen Eisenbahn gespielt, denn hier konnte ich mir meine eigene Welt schaffen.

Christoph Quarch

Seit ihm als jungem Mann ein Büchlein mit „Platons Meisterdialoge“ in die Hand fiel, ist Dr. Christoph Quarch, Jahrgang 1964, Philosoph aus Leidenschaft. Nach seinem Studium der Evangelischen Theologie und Philosophie in Heidelberg und Tübingen arbeitete er als Studienleiter des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Als Autor, Dozent sowie Seminar- und Reiseveranstalter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, die er in seinen zahlreichen Büchern und Seminaren in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung übersetzt. Zuletzt erschienen sind: „Der kleine Alltagsphilosoph“ (Gräfe Unzer) und „Das große Ja. Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens“(Goldmann). Zurzeit arbeitet er an einem Buch mit dem Neurobiologen Gerald Hüther über das Spiel, das 2016 bei Hanser erscheinen wird. Christoph Quarch lebt mit seiner Familie in Fulda. www.christophquarch.de Text: Clk

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kitzingen
Claudia Kneifel
Friedrich Nietzsche
Friedrich Schiller
Heiligtümer
Monopoly
Philosophen
Platon
Schachsport
Spiritualität
UNO
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top