Deutschland im Finale der Fußball- Europameisterschaft ohne Kanzlerin auf der Tribüne? Undenkbar. Angela Merkel auf der Tribüne in Kiew gemeinsam mit dem umstrittenen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch? Auch kaum vorstellbar.
Doch Merkel wird nach dpa-Informationen eben das tun, was sie bereits nach dem gewonnenen Viertelfinale gegen Griechenland in der Mannschaftskabine versprochen, öffentlich aber nicht bestätigt hat: Sie will zum EM-Endspiel fliegen, wenn die Löw-Elf am Donnerstag Italien im Halbfinale besiegt. Sportlich logisch, politisch heikel.
Denn die Reise wäre belastet von massiven internationalen Klagen über die Menschenrechtslage in der Ukraine, insbesondere über den Umgang mit der inhaftierten, erkrankten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Am Dienstag vertagte das Hohe Sondergericht in Kiew erneut eine Berufungsverhandlung, diesmal auf den 12. Juli. Damit dürften alle Hoffnungen Timoschenkos verflogen sein, im Zuge der EM freizukommen. Nach dem Finale an diesem Sonntag ist die Ukraine wieder aus dem Blick der Weltöffentlichkeit.
Vor Beginn der EM hatte es im Kanzleramt geheißen, sollte sich die Lage für Timoschenko nicht verbessern, wolle Merkel nicht bei einem Spiel neben Janukowitsch sitzen. Nun wird gerätselt, unter welcher Voraussetzung sie sich nach Kiew aufmachen würde.
Variante eins: Der zur Neutralität verpflichtete UEFA-Chef Michel Platini wird zwischen Merkel und Janukowitsch platziert. Die Kameras würden trotzdem beide Politiker einfangen. Gewonnen wäre nichts.
Variante zwei: Merkel besucht in Kiew Unterstützer Timoschenkos, die ihre Basis direkt an der Fanzone aufgeschlagen haben, die zum Ärger von Janukowitsch zum Besuchermagnet geworden ist. Kritiker würden das belächeln. Sie fordern mehr. Viel mehr.
Variante drei: Der Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses Tom Koenigs (Grüne) sagte der dpa: „Wenn es Frau Merkel gelänge, Frau Timoschenko mitzubringen, dann soll sie auch aufs Spiel gehen, dann gewinnen wir auch die Europameisterschaft.“ Dann wäre Merkel wohl auch selbst Meisterin. Diesen Preis dürfte Janukowitsch, Erzfeind Timoschenkos, für ein Foto mit Merkel aber kaum zahlen.
Die EU-Kommission boykottiert die Spiele in der Ukraine ganz offiziell. Mitglieder der Bundesregierung blieben den drei deutschen Gruppenspielen in der Ex-Sowjetrepublik ebenfalls fern. Misslich für Merkel ist, dass das Halbfinale und nicht das Finale beim Co-EM-Gastgeber Polen ausgetragen wird. Polens liberal-konservativer Regierungschef Donald Tusk zählt zu ihren ersten Ansprechpartnern in der EU. Ein gemeinsamer Fußballabend mit ihm wäre ein politisch angenehmer Nebeneffekt des großen Sports.
Doch zum Halbfinale nach Warschau kann sie sowieso nicht fahren, weil zeitgleich EU-Gipfel in Brüssel ist. Vielleicht sieht mancher Staatschef im Gegensatz zu einigen Spielern in ihr keine Glücksbringerin. Doch trotz aller Kritik, etwa aus den USA oder Frankreich, wird die Verfechterin einer harten Schuldenbremse bei dem Treffen dringender als Akteurin gebraucht denn als Zuschauerin in einem fernen Stadion.
Im übrigen, Frau Merkel soll sich endlich um eine Lösung der Probleme kümmern, die sie uns eingebrockt hat, und sich nicht in ihrer dümmlich-naiven, gespielten Pose dem Fußballvolk anbiedern. Einfach widerlich.