Ein Schöngeist, ein promovierter Philosoph und Schriftsteller, lehrt den Ökos die Realpolitik: Robert Habeck, der stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein will männlicher Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl 2017 werden. Der 46-Jährige fordert Toni Hofreiter, den Fraktionschef im Bundestag, der seine Ambitionen bereits angemeldet hat, und voraussichtlich auch Cem Özdemir, den Parteichef der Grünen, heraus. Habeck sieht sich selbst als „Außenseiter“. Gleichwohl lässt er keinen Zweifel, dass er die Urwahl unter den 60 000 Mitgliedern gewinnen möchte. Es dürfte spannend werden.
Beim Neujahrsempfang der Grünen in Würzburg hat er die Zuhörer schnell auf seiner Seite. Autor Habeck, der gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch mehrere erfolgreiche Romane und Kinderbücher geschrieben hat, erinnert an Walther von der Vogelweide. Auf den Spuren des mittelalterlichen Minnesängers, der in Würzburg begraben liegt, ist er als Student in den 90er Jahren erstmals hier gewesen. Damals hat ihn die mittelalterliche Lyrik interessiert, jetzt zitiert er den Meister mit seiner Utopie der „ebenen Minne“, dem Ideal einer Liebe fernab aller Standesgrenzen, mit besonderer Verehrung für die Frauen.
Solch Glücksversprechen zu erfüllen, da tue sich Politik heute schwer, sagt Habeck und spannt schnell den Bogen zu den gesellschaftlichen Herausforderungen dieser Tage.
Sehr anschaulich gelingt es ihm darzulegen, dass Umweltpolitik, dass Konzepte gegen den Klimawandel oder gegen intensive Landwirtschaft keine „Wohlfühlthemen“ für gute Zeiten sind, sondern ganz eng mit den aktuellen Krisen zusammenhängen. Es seien anhaltende Dürreperioden in Teilen Syriens gewesen, die die Menschen zunächst in die Städte fliehen ließen. Dort sei es im Streit um die Versorgung zu einer Radikalisierung gekommen, die in den Bürgerkrieg mündete, der die Menschen zu Millionen nach Europa flüchten lässt. „Die Katastrophen, die wir früher nur vom Fernsehen kannten, sind uns auf die Pelle gerückt“, so Habeck. Das Miteinander in der Welt, aber auch in Deutschland müsse neu verhandelt und justiert werden. Eine Haltung nach dem Motto „Hauptsache mir geht es gut, wie es den anderen geht, ist mir egal“ gelte es zu überwinden. Mehr Solidarität sei gefragt. Der Grünen-Politiker sieht die Gesellschaft auf einem guten Weg, die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe zeuge von einem „Republikanismus“, von dem die Politik nur lernen könne.
Habeck lebt den Spagat zwischen Idealismus und Pragmatismus jeden Tag. Sein Amt als Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume, das er seit 2012 innehat, sei ein „Crashkurs in Realpolitik“, sagt er. Beobachter bescheinigen ihm dabei die Fähigkeit, die unterschiedlichsten Lobby-Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen, Kompromisse zu erarbeiten, bei denen nicht alle hurra schreien, die sie letztlich im Interesse der Gesellschaft aber mittragen. So zeigt sich die Landtagsabgeordnete Kerstin Celina (Kürnach) beeindruckt, wie Habeck bei der Planung neuer Trassen für den Windstrom Energieunternehmen, Landwirte, Bürgerinitiativen und Naturschützer an einen Tisch gebracht und letztlich Lösungen gefunden habe. Celina: „Da hätte sich die bayerische Politik einiges abschauen können.“
Nicht jedem bei den Grünen gefällt so ein Politikstil. Für seine Zustimmung zum Asylpaket der Bundesregierung mit der Benennung weiterer sogenannter sicheren Herkunftsländer erntete Habek, ähnlich wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, an der Basis an Kritik. „Das halte ich aus“, sagt er. Schließlich habe man in den Verhandlungen auch einiges erreicht, was den Flüchtlingen konkret helfe, beispielsweise mehr Integrationskurse, eine Beschleunigung der Verfahren und eine Ausweitung des Wohnungsbaus.
Spricht so jemand, der im Hinterkopf schon ein Amt in einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene hat? Solche Fragen wischt Robert Habek mit all der Professionalität, die er nach dem Umstieg vom Schriftsteller zum Berufspolitiker gelernt hat, weg. Nein, über mögliche Bündnisse dürfe man nicht vor der Wahl reden. Er wolle als Spitzenkandidat einen Beitrag leisten, um möglichst viel Zustimmung für die grünen Positionen vor allem in der Energie-, der Umwelt- und der Agrarpolitik zu gewinnen. Da könnten die Grünen auch für bürgerliche Kreise noch attraktiver sein, sagt er. Als Kritik an seinen mutmaßlichen Mitbewerbern um die Spitzenkandidatur will er das nicht verstanden wissen.
Für seine halbstündige frei vorgetragene Rede in Würzburg erhält Habek, Vater von vier Söhnen im Alter von 13 bis 19 Jahren, viel Applaus. Von einer Vorentscheidung in der Kandidatenfrage kann noch keine Rede sein. Gleichwohl sind Sympathien für einen Mann, der grüne Politik in der Regierungspraxis umsetzt, spürbar. „Robert Habek tut uns Grünen richtig gut“, sagt der Würzburger Stadtrat Patrick Friedl. Der Minister zeige jeden Tag, „wie die Energiewende funktioniert“. Gleichzeitig verweist Friedl aber auch auf die Qualitäten von Hofreiter und Özdemir. „Ich kann mit allen drei Bewerbern gut leben, es ist klasse, dass wir diese Auswahl haben.“ Eike Hallitzky, der bayerische Landesvorsitzende, ist extra aus Passau nach Würzburg gekommen, um Habeck zu hören. „Er besticht durch seine Eloquenz. Seine Worte über das Neujustieren der Gesellschaft haben mir gut gefallen.“ Wie die Urwahl, die Ende 2016 ansteht, ausgeht? Da schweigt Hallitzky lieber. Und auch Kerstin Celina will sich – zumindest öffentlich – nicht festlegen. „Ich vertraue auf die Schwarmintelligenz unsere Mitglieder“, sagt sie vielsagend, „dass bei der Abstimmung am Ende das Richtige herauskommt“.