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Riesters Renten-Säulen
reda
 |  aktualisiert: 19.10.2014 19:23 Uhr

Auf die gesetzliche Rente können sich künftige Generationen kaum verlassen. Sie müssen selbst Geld zur Seite legen. Eine Alternative ist die Riester-Rente. Ihr Erfinder, Walter Riester, einstiger Arbeits- und Sozialminister der rot-grünen Regierung, spricht über einen großen Irrtum, das Vorbild Österreich und über Gerechtigkeit

Frage: Unser Rentensystem basiert auf der Idee, dass erst die Eltern für ihre Kinder, später dann die Kinder für ihre Eltern sorgen. Stichwort: Generationenvertrag. Was aber passiert, wenn es immer weniger Junge und immer mehr Alte gibt?

Walter Riester: Seit ich mich mit Altersvorsorge beschäftige, merke ich, dass es im Wesentlichen drei Quellen gibt, aus denen sich die Versorgung im Alter speist: Zum einen ist da, sehr traditionell, die Familie. Das Zweite ist die Annahme, dafür seien der Staat oder die Gesellschaft zuständig, das kennen wir etwa im Beamtenwesen. Drittens schließlich der Gedanke, aus Erwerbseinkommen, das man hat, selbst Rücklagen zu bilden fürs Alter.

Welche Aufgabe kommt der Familie bei der Versorgung im Alter zu?

Riester: Hier müssen wir aufpassen, nicht einem Mythos aufzusitzen. Es ist ein schönes Bild: Die Jungen sorgen für die Alten. Aber hinter einer von selbst funktionierenden Generationengerechtigkeit innerhalb der Familie steckt viel Mythos. Auch wenn wir in die Vergangenheit schauen, ist dieses Versprechen längst nicht immer eingelöst worden. Der Generationenvertrag ist in vielen Bereichen verklärt, er blendet die Wirklichkeit aus.

Gleichzeitig erleben wir eine Rentner-Generation, die selbst zum Teil nur wenig Geld zur Verfügung hat. Wie lässt sich das auffangen?

Riester: Zuerst einmal müssen wir uns über die Gründe für diese zu geringen Rücklagen fürs Alter bewusst werden. Wir sollten uns in dieser Frage von dem Bild lösen, dass wir zu wenige Beitragszahler haben, die für viele Rentner aufkommen müssen. Darin liegt das Problem für das System nur kurzfristig. Denn wenn Sie weniger Einzahlungen haben, haben Sie später auch weniger Ansprüche an die Rentenversicherung. Die eigentliche demografische Herausforderung besteht darin, dass wir heute im Verhältnis zu unseren Einzahlungen wesentlich länger Rente beziehen. Als ich 1957 meine Fliesenlegerlehre begann, hatten Rentenbezieher eine Bezugsdauer von unter zehn Jahren – heute sind es fast 19.

Und was bedeutet das für unser Rentensystem?

Riester: Die großen Herausforderungen resultieren aus den gravierenden Veränderungen des Arbeitsmarkts. Heute haben wir 34 Prozent Teilzeitbeschäftigte, vor zwanzig Jahren waren es zehn Prozent. Aus Teilzeitarbeit kommt aber nur Teilzeiteinkommen, und aus Teilzeiteinkommen kommt in der Regel nur die halbe Rücklagenbildung für die Rente. 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, hauptsächlich Frauen, sind geringfügig beschäftigt, die allermeisten von ihnen sind gar nicht rentenversichert. Am Arbeitsmarkt hängt die Rücklagenbildung fürs Alter. Darauf reagiert die Politik bislang aber überhaupt nicht.

Müssen wir also unser ganzes System überdenken?

Riester: Das Umlagesystem, wie wir es in Deutschland haben, hat eine Achillesferse: Die Rentenversicherung nimmt immer nur so viel Geld ein, wie nötig ist, um die aktuellen Ansprüche zu begleichen. In Zeiten hoher Beschäftigung und damit vieler Einzahler werden also vom System her die Beiträge gesenkt. Mit der fatalen Wirkung, dass diejenigen, die heute einzahlen, später einen Leistungsanspruch haben, aber das Eingezahlte nicht mehr da ist. Damit verschieben wir das Problem mit Verschärfung in die Zukunft.

Als dritte Versorgungsquelle für das Alter haben Sie die Eigenverantwortung genannt. Welche Pflicht haben wir, uns auch privat um unser Auskommen in der Zukunft zu kümmern?

Riester: Die meisten Menschen haben keinen Zweifel daran, dass es notwendig ist, krankenversichert zu sein, denn die Gefahr, krank zu werden, erscheint unmittelbar. Die Rücklagenbildung fürs Alter ist auf der anderen Seite bei den meisten Menschen etwas, das man gerne nach hinten schiebt, weil es immer mit anderen, aktuellen Wünschen kollidiert. Hält man sich das vor Augen, wird klar, dass wir die nur sehr differenzierte Pflicht, Rücklagen fürs Alter zu bilden, wie wir sie derzeit in Deutschland haben, korrigieren müssen.

Also müsste uns der Staat quasi zur privaten Altersvorsorge verpflichten?

Riester: Meiner Meinung nach müssten aus allen Erwerbseinkommen Rücklagen gebildet werden – auch von Selbstständigen. Wenn die Verpflichtung nicht da ist, ist bei der Altersvorsorge die Gefahr außerordentlich groß, dass sie nicht gebildet wird. Und die Konsequenz ist dann, dass die Gesellschaft als Ganzes dafür später einzutreten hat.

Wie sieht ein gerechtes System für heutige und künftige Generationen aus?

Riester: Wir brauchen eine gute Mischung. Wo der Staat mehr als bisher gefordert ist, ist, verpflichtend dafür zu sorgen, dass jeder Rücklagen fürs Alter bildet. In Österreich oder der Schweiz zum Beispiel ist die gesetzliche Verpflichtung, Rücklagen zu bilden, wesentlich stärker ausgeprägt als in Deutschland. Ich glaube, dass es auch Aufgabe des Staates ist, Anreize für die Bürger zu setzen, über die Grundversorgung hinaus zu sparen – wie beispielsweise bei der Riester-Rente.

Brauchen wir auch einen Bewusstseinswandel?

Riester: Den halte ich für zwingend notwendig. Weder in der Schule, in der Erziehung, noch in den Medien ist das Thema Vorsorge präsent genug. Doch wir haben viel stärker als in der Vergangenheit Grund, das Thema zu bearbeiten. Die Veränderungen des Arbeitsmarkts und der Lohnsituation wird bei sehr vielen Menschen die Problemstellung in zehn, 15 Jahren erst richtig sichtbar machen. Und zwar an den Kleinst-Renten, die sie dann beziehen, weil sie jetzt von kleinen Einkünften kaum in die Rentenversicherung einzahlen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass es eine enorme Herausforderung ist für die Politik, die die Voraussetzungen schaffen muss, und für diejenigen, die die öffentliche Meinung mitprägen, in diesem Bereich zu arbeiten. Bislang werden die Entscheidungen der Politik dieser Herausforderung nicht gerecht.

Walter Riester

Der ehemalige Arbeitsminister, Jahrgang 1943, stammt aus Kaufbeuren. Der Vater zweier erwachsener Söhne absolvierte eine Fliesenlegerlehre und trat mit 23 Jahren in die SPD ein. Zwischen 1970 und 1990 engagierte sich Riester in verschiedenen Ämtern als Gewerkschafter. 1998 bis 2002 gehörte er der rot-grünen Bundesregierung an und machte sich als Arbeits- und Sozialminister vor allem mit der nach ihm benannten Rente einen Namen, einer staatlich geförderten privaten Altersvorsorge.

Text: AA

 
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