Eine Reibungsfläche zwischen einer kritischen Öffentlichkeit und den Medien ist nicht ganz überraschend geglättet worden: Der Deutsche Presserat hat eine umstrittene und zuletzt wieder heftig diskutierte Richtlinie in seinem Pressekodex geändert. Man kann durchaus sagen, diese Richtlinie war in der schier unbegrenzten medialen Wirklichkeit, in der kaum irgendetwas verborgen bleiben kann, nicht mehr wie bisher aufrechtzuerhalten. Das gilt gerade in einem Land, in dem mehr Menschen unterschiedlicher Nationalitäten leben wie jemals zuvor.
Die Änderung betrifft die Richtlinie 12.1, die sich grundsätzlich gegen Diskriminierungen von Minderheiten richtet. Sie lautete bisher:
Das ist die alte Richtlinie
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“
Fortan gilt folgende überarbeitete Fassung:
Das ist die überarbeitete Fassung
„Bei der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt.“
Der Unterschied liegt erkennbar darin, dass ein Sachbezug zwischen Herkunft von Täter und Tat nicht mehr nötig ist, wenn die Herkunft eines Täters, die einer Redaktion als wahre Tatsache vorliegt, zum Bericht gehören soll. Dieser Sachbezug war selten herzustellen gewesen. Welcher gutwillige Journalist konnte schon aus der Tatsache, dass ein Mensch aus einem bestimmten Land einen Diebstahl begangen hat, einen grundsätzlichen Sachbezug zu dessen Nationalität ableiten, der noch für das Verständnis der Nachricht notwendig gewesen sein sollte? Schon der Versuch führte fast zwangsläufig zu Vorurteilen gegenüber allen Menschen aus dem Land des Täters. Also wurde die Ethnie oder die Nationalität von Verdächtigen oder Tätern lieber nicht genannt.
Daraus erwuchs ein Problem, weil man um die Herkunft sicher wusste, also eine wahre Tatsache zurückhielt. Aber genau die gelangte über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co ohnehin an den klassischen Medien vorbei in die Öffentlichkeit.
So sahen sich Redaktionen, die sich dem Pressekodex verpflichtet haben, dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden Nachrichten unterschlagen. Oder sie hielten ihre Leser nicht für mündig genug, korrekte Nachrichten richtig zu verstehen. Das ging in Zeiten, in denen die Glaubwürdigkeit der Medien gelitten hat, zwangsläufig mit Unterstellungen und Hassbotschaften einher. Es hieß, die Medien seien von oben gesteuert oder sie würden selbst politische Interessen verfolgen.
Ein gravierendes Beispiel
Ein gravierendes Beispiel, das die Problematik um die vormalige Formulierung der Richtlinie 12.1 aufzeigte, war die Berichterstattung nach dem Tötungsdelikt mit vorausgehender Vergewaltigung im Dezember 2016 in Freiburg. Eine Studentin war das Opfer. Als dringend Tatverdächtiger war schnell ein junger Asylbewerber ausgemacht, der erst 2015 aus Afghanistan gekommen war. Kaum ein Medium hielt diese Nachricht, die der Staatsanwalt verkündete, zurück. Sie wurde meist schon mit der ersten Berichterstattung verbreitet.
Ein Sachzusammenhang zwischen der Herkunft des Verdächtigen und der Tat, die ihm vorgeworfen worden ist, ist schwerlich möglich. Außer man unterstellt, dass bei Afghanen die Wahrscheinlichkeit solcher Straftaten besonders hoch ist. Doch ein solches Vorurteil war wahrscheinlich kaum einem Medium vorzuwerfen, das die Ethnie verbreitet hat.
Aber vermehrte öffentliche Diskussionen um die innere Sicherheit nach islamistischen Terrorakten hatten zu einer hohen Sensibilität und zu Ängsten vor geflüchteten Menschen geführt. Straftaten von geflüchteten Menschen sind sofort nach ihrem Bekanntwerden zu einem Politikum geworden. Aber diese Form einer erhöhten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war in der Richtlinie 12.1 nicht als Begründung dafür vorgesehen, um die Nationalität eines Verdächtigen oder Täters nennen zu können.
Aber der Druck auf den Presserat, tätig zu werden, war stärker geworden. Im März 2016 hatte er die umstrittene Richtlinie nach kontroversen Diskussionen noch bestätigt. Nun aber war sie von der Wirklichkeit geradezu überholt worden.
Begründetes öffentliches Interesse
So hat er nicht nur den Unterpunkt 12.1 sondern gleich die ganze Richtlinie 12 durch eine Öffnung ergänzt. So soll zwar die Zugehörigkeit von Straftätern oder Verdächtigen zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten in der Regel wie bisher nicht erwähnt werden – es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Dieser Nebensatz ist neu und wohl von der aktuellen Situation diktiert.
An die Stelle des Sachbezuges tritt nun also begründetes öffentliches Interesse. Das ist keine Sensationslust, erklären andere Stellen im Presskodex. Trotzdem wird es auf den ersten Blick einfacher, fortan bei Straftaten über Ethnien oder Nationalitäten zu berichten. Aber genau diese Freiheit ist es, die die Verantwortung der Journalisten erhöht, Menschen dabei auf keinen Fall zu diskriminieren oder – wenn nötig – sogar Gefährdete davor zu schützen. So wie es auch im Sinne des Artikels 3 unseres Grundgesetzes ist.
Kritische Aufmerksamkeit bleibt erhalten
Um der neuen Richtlinie gerecht zu werden, sollte öffentliches Interesse in Berichterstattungen für Leser nachvollziehbar werden. Die Schilderung von Tat- oder Täterhintergründen kann notwendig sein, um keine Verallgemeinerung einer Einzeltat zuzulassen. Das erfordert Recherchen und verbietet die vorschnelle Verbreitung.
Der Umgang mit der Öffnung im Kodex wird der Teil journalistischer Ethik sein, dem eine kritische Aufmerksamkeit gewiss erhalten bleibt.