Nur noch wenige Tage bis zum Bundesparteitag der Piraten in Neumünster, und ausgerechnet jetzt steckt die junge Partei in ihrer ersten schweren Krise. Eigentlich sollte auf dem Kongress in Schleswig-Holstein vor allem das Führungspersonal bestimmt werden, aber nun müssen sich die voraussichtlich 2000 Delegierten wohl auch mit einem Thema befassen, das die Partei wie kein zweites belastet: Wie halten wir es mit dem Rechtsextremismus?
Ausgerechnet dem als besonnen und intelligent geltenden Martin Delius ist der bisher größte Lapsus unterlaufen. „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933“, sagte der 27-Jährige dem „Spiegel“ – und dachte sich anscheinend nicht viel dabei. Er habe die Brisanz der Aussage in diesem Moment nicht erkannt, sagte er später. Da war der Sturm der Entrüstung schon losgebrochen. Der Geschäftsführer der Berliner Piratenfraktion zog seine Kandidatur für den Bundesvorstand daraufhin zurück – Politik machen will er aber weiterhin.
Verheerendes Echo
„Schaffen sich die Piraten mit ihrem Dummgeschwätz bald selber ab?“ fragt die „Bild“-Zeitung. Manche möchten es wohl, und die Konkurrenz lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen. Grünen-Chefin Claudia Roth sieht eine „ungeheuerliche Grenzüberschreitung“. „Weil wir die Piraten ernst nehmen, erwarten wir, dass sie ihre Prinzipien im Kampf gegen Rechtsextremismus deutlich machen.“
Der vermutlich unbedachte Vergleich mit der NSDAP hätte wohl kein derart verheerendes Echo gehabt, wenn es der erste Fehler in Sachen Rechtsextremismus gewesen wäre. Aber seit Tagen machen einzelne Piraten mit rechtsradikalen, antisemitischen oder zumindest missverständlichen Parolen Schlagzeilen.
Wie jede neue Partei, die stark wachse, „zieht sie Spinner und Hohlköpfe an, die versuchen, jetzt ihr Süppchen zu kochen“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Beim Bundesparteitag in Neumünster sei die Führung der Partei gefragt, um „klare Kante“ zu zeigen und sich deutlich zu positionieren. Beim Programm der Piraten sieht Niedermayer keine Nähe zum Rechtsextremismus. Der sächsische Landesverband der Piraten kritisierte unterdessen Versäumnisse der eigenen Partei. „Wir müssen klarstellen, dass Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat“, sagte Florian Bokor, einer der beiden Beisitzer des Landesvorstandes. „Da waren wir in der Vergangenheit zu unscharf.“ Streit mit Parteimitgliedern wegen der Nähe zu rechtsextremistischem Gedankengut gibt es schon seit Längerem. Das Bundesschiedsgericht der Piraten beschäftigt sich etwa mit einem Ex-NPD-Mitglied in Mecklenburg-Vorpommern, der Parteivorstand will den Mann ausschließen. In Niedersachsen annullierte die Partei die Aufstellung eines Kandidaten für die Landtagswahl, weil er Straffreiheit für das Leugnen des Holocaust gefordert hatte.
Der gescheiterte Ausschluss des Piratenmitglieds Bodo Thiesen nach umstrittenen Holocaust-Äußerungen sorgt in Rheinland-Pfalz für heftigen Wirbel. Der Piraten-Bundesvorsitzende Sebastian Nerz sprach sich am Montag in diesem Fall dafür aus, einen neuen Anlauf für einen Parteiausschluss zu wagen, wenn weitere untragbare Aussagen Thiesens bekannt würden. In Schleswig-Holstein sorgte der Lübecker Direktkandidat Manfred Vandersee mit einer Äußerung bei Facebook für Kritik, mit der er indirekt die staatliche Unterstützung für den Zentralrat der Juden infrage stellte.
Der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum empfahl den Piraten, sich mit öffentlichen Aussagen zurückzuhalten und die Verantwortung für die gesamte Partei in den Blick zu nehmen: „Man kann nicht alles rausblasen, was einem gerade in den Kopf kommt.“ Klar sei in der Partei längst, dass rechtsextreme Haltungen nicht akzeptiert würden. Das Problem: Die Partei, die sich Transparenz und Offenheit auf die Fahne geschrieben hat, kann noch nicht effektiv gegen solche Positionen vorgehen. Erlaubt ist bisher fast alles, ein Ausschluss aus der Partei extrem schwierig. „Wachstumsschmerzen“ nennen manche das derzeit ungemütliche Befinden, das sich voraussichtlich aber nicht von allein bessern wird.
Wichtige Bewährungsprobe
Die Affäre um rechtsextreme Affinitäten ist so zur ersten wichtigen Bewährungsprobe für die Partei geworden. Es geht nun darum, sich als lernfähig zu erweisen und Strukturen zu schaffen, um solche Fehler in Zukunft besser und schneller ahnden zu können. In Neumünster werden mindestens 2000 Piraten zum Bundesparteitag erwartet. Kommen und abstimmen dürfen alle Mitglieder. Auch hier ist die Partei bisher offen und großzügig: Wer abstimmen will, darf nicht länger als drei Monate mit den Mitgliedsbeiträgen im Rückstand sein, heißt es auf der Homepage der Partei. Immerhin hat die Hälfte der etwa 25 000 Mitglieder für 2012 noch nicht bezahlt, bestätigte ein Sprecher am Montag.
„Ich habe die Hoffnung, dass es möglich ist, dass ich trotzdem weiter Politik bei den Piraten machen kann“, so ein zerknirschter Martin Delius am Montag. Er wolle sich für einen konkreten Passus in der Satzung stark machen, wonach die Nähe zum Rechtsextremismus Grund für einen Parteiausschluss sei. Unumstritten sind diese Absichten aber nicht.
Umstrittene Äußerungen von Piraten
Einige ihrer Mitglieder haben die aufstrebende Piratenpartei in jüngster Zeit mit fragwürdigen Äußerungen in Bedrängnis gebracht. Die dpa dokumentiert einige Zitate:
„Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933.“ (Martin Delius, parlamentarischer Geschäftsführer der Berliner Piraten-Fraktion, im „Spiegel“ vom 23. April)
„Der Zentralrat der Juden wird ab 2012 mit zehn Millionen Euro (!) aus hart erarbeiteten Steuergeldern alimentiert! Weitere Kommentare spare ich mir an dieser Stelle.“ (Manfred Vandersee, Direktkandidat der Lübecker Piraten, am 19. April 2012 auf seiner Facebook-Seite)
„Zum Beispiel kann ich den Massenmord an den Armeniern leugnen in diesem Land. Das ist nicht strafbar. Aber den Massenmord an den Juden darf ich nicht leugnen. Ich finde, das ist letztendlich eine unzulässige Ungleichbehandlung von vergleichbaren historischen Ereignissen.“ (Carsten Schulz, Mitglied der niedersächsischen Piraten, am 13. April 2012 in einem Interview des Norddeutschen Rundfunks)
„Wenn Polen Deutschland den Krieg erklärt hat (und das hat Polen indirekt durch die Generalmobilmachung), dann hatte Deutschland jede Legitimation, Polen anzugreifen.“ (Bodo Thiesen, rheinland-pfälzisches Piraten-Mitglied, auf einer Partei-Mailingliste am 13. Mai 2008). TEXT: dpa
Und auf die veröffentlichte Meinung der etablierten Parteien und ihrer Hofberichterstatter über die Piraten, würde ich nicht allzu viel geben.
@appeldorn
Stellen Sie die Piraten bitte nicht in Faschismusnähe. Das wäre reiner Schwachsinn...
Diese operiert mit Begriffen wie "Liquid Feedback", "Mumble", "Piraten-Wiki" und "Piraten-Pad". Sie hält diese Begriffe für Bildung und ihre Internet-fixierung für Kultur.
Dem Ganzen wird ein magischer Glanz verliehen, gerade so, als ob die 68er ihre "sexuelle Revolution" nun im Internet feiern würden.
Die Piraten halten sich für sensationell progressiv und glauben, dass ihre grenzenlose Freiheit so etwas völlig Einzigartiges und Neuwertiges sei.
Lasst die Jahre vergehen, in denen sich die Piraten mit ihrer Faschismusnähe um die parlmentarische Mehrheit abgequält haben werden, dann kommen diese Kulturzertrümmerer von ganz alleine darauf, dass sie nichts anderes als Querulanten waren. Auch sie werden davon überzeugt sein, dass die Erfahrungen, welche sie machen mussten, schon andere vor ihnen gemacht haben, dann wird all der schöne Glanz des Neuartigen, sich als falscher Zauber herausgestellt haben.