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WÜRZBURG
„Pferde gelten als Schönheitssymbole“
Der Pferdefleischskandal hat viele Menschen in Deutschland aufgeschreckt. Der Bremer Biologe Benno Meyer-Rochow kennt die kulinarischen Eigenarten der Menschen weltweit und hat vieles probiert, was hierzulande viele eklig finden. Solche Ess-Tabus schaffen Identität, sagt er.
Das Gespräch führte Beate Schierle
 |  aktualisiert: 20.01.2016 18:30 Uhr
Frage: Herr Meyer-Rochow, im Prinzip ist der Mensch ein Allesfresser. Warum essen wir manche Tiere – und andere nicht?

Benno Meyer-Rochow: Oft steckt der Gedanke dahinter, den Druck auf ein bestimmtes Nahrungsmittel zu verringern. Wenn alle nur dasselbe essen, ist der Druck auf diese Ressource größer. Wenn aber mehrere Nahrungsquellen zur Verfügung stehen und geregelt ist, wer was essen darf, nimmt der Druck auf einzelne Nahrungsmittel ab. Das kann man bei Naturvölkern sehen. Das wird dann aber religiös begründet. Bei den Orang Asli in Malaysia essen die Kinder nur kleine Tiere wie Schnecken, Insekten oder Würmer, weil die Seele der Kinder mit der Seele größerer Tiere nicht fertig wird. Den Frauen traut man zu, dass sie es mit den Seelen von kaninchen- oder eichhörnchengroßen Tieren aufnehmen können. Und die Männer bekommen Fleisch von großen starken Tieren wie Bären oder Tigern. Dahinter stehen aber eigentlich ökologische Gründe.

Welche Gründe gibt es noch?

Meyer-Rochow: Gesundheitliche Gründe. Schon früher hatte man beobachtet, dass manche Lebensmittel krankmachen können. Und wenn das Oberhaupt der Gruppe verkündete, das sei nicht essbar, wurde das angenommen. Dafür haben wir heute Lebensmittelkontrollen wie etwa die Fleischbeschau. Nahrungstabus werden oft eingerichtet, um Nahrungsmittel zu monopolisieren. Bei manchen Stämmen Afrikas und Papua-Neuguineas verbieten die Männer den Frauen bestimmte Nahrung, weil die Männer – so glaubt man – die wertvolle, proteinhaltige Nahrung selber essen wollen. Eine Sonderform sind Nahrungstabus für schwangere Frauen, die meist dem Aberglauben entstammen. Da geht es darum, dass man glaubt, dass diese Lebensmittel Mutter oder Kind schaden. Etwa, dass sie keine Wassermelone essen soll, weil das Kind sonst einen Wasserkopf bekommt. Dabei verbietet man den Frauen oft die nahrhaftesten Lebensmittel.

Bei Essen geht es aber nicht nur um Nahrungsaufnahme, sondern auch um Gruppenidentität.

Meyer-Rochow: So ist es. Die Inuit essen zum Beispiel Wale. In fast der gleichen Gegend wohnen die „Tlingit“, das ist ein Indianerstamm aus Nordwest-Kanada. Für sie ist der Wal eine Gottheit und wird nicht angerührt. Es ist sehr häufig, dass man im gleichen Land unterschiedliche Gruppen findet, die nicht das Gleiche essen. In Europa gibt es das auch. In Frankreich gibt es Pferdemetzgereien, das ist dort ganz normal. Aber was jetzt in Deutschland und England passiert, ist etwas anderes. Die Leute wurden betrogen. Das ist eine andere Geschichte. Esstabus schaffen Identität. Wenn Leute etwas Besonderes essen, das andere nicht essen, gehören sie zu einer besonderen Gruppe. Manch einer in Deutschland sieht herab auf Leute, die Hunde essen. In Nordkorea werden auch Hunde gegessen. Aber nicht, weil die Leute an Hunger leiden.

Igitt. Warum essen die Menschen das?

Meyer-Rochow: Weil es gut schmeckt. Manche Freunde von mir sagen, dass Hundefleisch das beste Fleisch sei, das es gibt. Die ziehen Hund Schweine- oder Rindfleisch vor. In Deutschland wird kein Hund gegessen, weil man sagt, dass die Tiere zur Familie gehören. Ähnlich ist es mit den Pferden. Die gelten als noble Schönheitssymbole und Symbole der Schnelligkeit. Man legt sich diese Begründung zurecht. Die Leute sagen, das Schwein ist hässlich und schmutzig, das kann man essen. Und die Kuh ist dumm.

Indien ist für uns Westeuropäer ein ganz kurioser Fall. Die Hindus dort essen ja kein Rind.

Meyer-Rochow: Ich war mit einer brahmanischen Inderin verheiratet. Da gilt: kein Fleisch, kein Fisch, kein Ei, kein Knoblauch und keine Zwiebeln – und einmal im Monat auch kein Getreide. Viele Religionen machen ihre Vorschriften so kompliziert, um andere Gruppen herauszuhalten. Bei den Hindus gibt es verschiedene Kasten, und die Brahmanen haben als die höchste Kaste die strengsten Vorschriften. Der Gott Krischna sagt: Ich nehme als Opfer nur Blumen, Wasser und Früchte an. Fleisch wird nicht erwähnt. Daraus wird gefolgert, wenn Gott das nicht annimmt, ist es auch nicht gut für uns. In den Heiligen Schriften steht, dass man ist, was man aufnimmt. Wenn man Fleisch isst, wird man tierisch aggressiv. Es wird vergessen, dass viele aggressive Menschen Vegetarier waren – Adolf Hitler etwa.

Spielen bei den Spannungen zwischen den Moslems und den Hindus in Indien auch die unterschiedlichen Speisevorschriften eine Rolle? Moslems essen Rindfleisch, Hindus nicht.

Meyer-Rochow: Ich glaube, das spielt nur eine untergeordnete Rolle. Es gab jahrhundertelang nur wenig Schwierigkeiten zwischen Moslems und Hindus in Indien. Ich habe im Nagaland in Nordost-Indien viel Forschung betrieben, da leben alle Gruppen zusammen und man kann auf dem Markt alles Mögliche bekommen. Es gibt einen Stand für die Moslems, eine andere Ecke ist die Hunde-, Eichhörnchen oder Frosch-Ecke für die Naga. Die Konflikte werden ja auch durch Politiker geschürt. Pakistan und Indien streiten vor allem wegen des Kaschmir-Gebiets.

Was haben Sie denn auf Ihren vielen Reisen schon mal probiert, wo Sie sagten, das ist gar nicht schlecht? Und was fanden Sie am schlimmsten?

Meyer-Rochow: Das hat viel mit Psychologie zu tun. Das Schlimmste war, als ich einmal mit einem Bekannten in Japan essen war. Er machte ein großes Geheimnis darum, was es zu essen geben würde. Es war Schweine-Uterus. Schrecklich. Ich habe auch schon einmal Walhoden gegessen, in Osaka. Das war gar nicht so übel. Das Seltsamste, das ich je gegessen habe, war Mammut. Dieses Fleisch war 10 000 Jahre alt und lag im Sumpf von Sibirien.


Benno Meyer-Rochow

Der Biologe und Ethnologe lehrt an der Jacobs University in Bremen. Er wuchs in Deutschland auf, wanderte aber 1969 nach Neuseeland aus. Zu seinen besonderen Interessen gehört die Physiologie des Auges. 2005 bekam er den Ig-Nobelpreis der Universität Harvard; das ist eine scherzhafte Alternative zum Nobelpreis für Wissenschaftler, die an Phänomenen arbeiten, die zunächst zum Schmunzeln und dann zum Denken anregen. Das Thema: die Ausscheidungsaktivitäten von Pinguinen. Foto: Schierl/text: BEA

Pferd       -  Pferd auf Wiese
Foto: Wiesenfelder | Pferd auf Wiese
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Foto: Wiesenfelder | Pferd auf Wiese

 
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