Viele Bürger in Deutschland verspüren kaum noch Lust, sich eingehend mit der Schuldenkrise zu befassen. Aussagen von Politikern und Ökonomen dringen oft nicht mehr zu ihnen durch. Vielleicht gelingt es einem Zukunftsforscher wie Matthias Horx, einem bekennenden Optimisten und Provokateur, wieder Interesse für das Thema zu wecken.
Matthias Horx: Man könnte ja zunächst einmal bezweifeln, ob der Satz „die Schuldenkrise hat uns im Griff“ nicht eine Prosa ist, die sich zu einer Art Morgengruß entwickelt hat. So wie man „Guten Tag“ sagt, sagt man heute „Wir haben Krise“ – eine Art Euphemismus für schlechte Laune. Vielleicht ist es einfach so: Wir haben es uns mit Europa und seinen Systemen in der Vergangenheit etwas zu einfach gemacht. Und jetzt erzwingen die Ausläufer der Blase im Finanzsektor Modernisierungen in Ländern, die sich bislang davor gedrückt haben. Zwei Drittel der europäischen Länder geht es gut.
Horx: Das andere Drittel muss dringend Hausaufgaben machen. Sich verändern. Und die Länder werden das tun. Auf diese Weise, durch „Krisen“, entsteht letztlich Veränderung. Das ist im privaten so wie im politischen Leben: Ohne einen gewissen Zwang tut sich nichts.
Horx: Mit Euro. Und in einem deutlich integrierteren Europa.
Horx: Es gibt eine Renaissance der Regionen. Die Entwicklungen in Belgien, Schottland, Katalonien, aber auch die Unzufriedenheit mit der nationalen Politik zeigt, dass der klassische Nationalstaat an systemischen Grenzen angelangt ist.
Horx: Demokratie funktioniert am besten auf regionaler Ebene. In der Region oder in der Stadt, in der man lebt, kann man Entscheidungen als Bürger nachvollziehen und beeinflussen. Wir werden in Zukunft das kantonale Prinzip der Schweiz auf die europäische Ebene übertragen. Die Nationalstaaten werden dabei eher unwichtiger. Wir nennen dies den Glokalisierungseffekt.
Horx: Ist es schlecht, wenn wir unsere Lebensspanne erweitern? Das heißt aber, dass wir eine Gesundheitsvorsorgegesellschaft entwickeln müssen, die viele chronische Krankheiten im Vorfeld verhindert. Das ist eine große Herausforderung. Es bedeutet auch, dass die Jüngeren eher bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und dass auch die Frauen endlich bessere Möglichkeiten haben, Karriere zu machen, weil Talente knapp werden.
Horx: Die Lebens- und Arbeitsmuster ändern sich, wenn unsere Biografien sich verändern. Für die Umwelt ist es auch gut, wenn es etwas weniger Menschen gibt. Die demografische Katastrophe ist hingegen wieder mal eine dieser übertriebenen Angst-Erzählungen, die sich bei näherem Betrachten als völlig übertrieben herausstellen.
Horx: Leider diskutieren wir so in Deutschland über Veränderungen: immer nur negativ.
Horx: Die Bedingung einer höheren Geburtenrate besteht aus zwei Kernfaktoren: einem guten Ganztags-Kinderbetreuungssystem wie in Frankreich. Und einer anderen Zeitkultur, in der Mann und Frau auch ohne 14 Stunden Arbeit am Tag Karriere machen können. So wie in Skandinavien, wo heute Führungskräfte, die mehr als acht Stunden arbeiten, als neurotische Minderleister gelten. Für Frauen ist unser heutiges Karrieresystem hingegen eine Entscheidungsfrage: Entweder Kinder oder täglich 14 Stunden Karriere machen. Und ein nicht unwesentlicher Teil der heute sehr gebildeten Frauen verzichtet dann eben auf Kinder.
Horx: In Skandinavien ist nach der Integration der Frauen in die höheren Karrieren die Geburtenrate deutlich gestiegen, weil sich gleichzeitig die Zeitkultur verändert hat. Aufstieg im Beruf ist nicht mehr durch die männerbasierte Präsenzkultur geprägt, die in deutschen Unternehmen herrscht: Wer bis 22 Uhr am Schreibtisch sitzt, gewinnt. Spannend wird es, wenn auch leistungsbewusste Männer sich mehr um ihre Kinder kümmern wollen. An diesem Punkt stehen wir heute. Und wir werden eine Quote bekommen, weil es nicht anders geht. Und dann wird die Geburtenrate wieder steigen.
Horx: Nein, die Revolte von 1968 war ein einmaliges Ereignis in einer einmaligen Zeit. Damals war die Gesellschaft sehr verkrustet, sehr starr und sehr konsensual. Heute ist die Gesellschaft sehr liberal und viele Menschen haben eher Angst vor Freiheit. Auch die Jüngeren.
Horx: In der Tat müssen wir immer produktiver werden. Das ist der wahre Kern aller Wohlstandsentwicklungen – ohne Produktivitätszuwachs gibt es keinen Fortschritt und keinen Wohlstand. Aber Produktivität heißt nicht mehr Stress, sondern mehr Intelligenz, bessere Arbeitsorganisation. „Druck“ macht Menschen ja eben unproduktiv. Das verstehen auch immer mehr Unternehmen, die ja auch ein Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter nicht ausbrennen.
Matthias Horx
Der gelernte Journalist leitet das Zukunftsinstitut in Kelkheim bei Frankfurt. Das privatwirtschaftliche Institut hat heute 35 Mitarbeiter und bietet Trend-Innovations-Begleitung und die Entwicklung von Frühwarn-Systemen.
Matthias Horx (geboren 1955) hat viele Bücher geschrieben, darunter die „Anleitung zum Zukunftsoptimismus“, ein „Pamphlet gegen Untergangsideologen, Panik-Publizisten, Apokalypse-Spießer und andere Angst-Gewinnler“. FOTO: dpa