Seit über zehn Jahren engagiert sich der Unterfranke Rudolf Stängle bereits bei der Hilfsorganisation Grünhelme – inzwischen ist er auch im Vorstand aktiv. Vor wenigen Wochen hat er in Marokko rund um die spanische Exklave Melilla die dort lebenden Flüchtlinge besucht. Sie leben als Obdachlose in den Wäldern, von den Marokkanern werden sie geduldet, aber kaum unterstützt. Die Grünhelme wollen künftig eine katholische Organisation im Norden Marokkos bei ihrer Flüchtlingsarbeit unterstützen.
Rudolf Stängle: Bedrückendes. Wenn man zum ersten Mal vor dieser Grenze steht, vor diesen drei teilweise meterhohen Zäunen, ist man schockiert. Man kennt die Grenze ja vielleicht sogar schon aus dem Fernsehen, aber in der Realität wirkt sie noch grausamer. Ich finde, sie ist durchaus mit der Berliner Mauer vergleichbar – es fehlen nur die Selbstschussanlagen.
Stängle: Die Grenze besteht wie gesagt aus drei Zäunen. Vor kurzem hat Spanien an den äußersten Zaun Richtung Marokko messerscharfen Nato-Stacheldraht verlegt, es wurden Gräben gezogen und im Abstand von etwa 100 Metern neue Wachhäuschen aufgestellt. Man will mit aller Macht verhindern, dass die Flüchtlinge überhaupt zum Zaun kommen.
Stängle: Das kommt wohl darauf an, welche Perspektive man einnimmt. Persönlich halte ich sie erst einmal für unmenschlich. Idealerweise dürfte es eine solche Grenzbefestigung einfach gar nicht geben. Mir ist aber schon klar, dass man sie in der jetzigen Situation nicht einfach völlig abbauen kann. In den Wäldern zwischen der marokkanischen Stadt Nador und Melilla leben etwa 1200 bis 2000 Flüchtlinge, die nach Europa wollen.
Stängle: Ja und nein. Auf der einen Seite versucht die marokkanische Regierung den Flüchtlingen, die irgendwie Arbeit gefunden haben, eine Art legalisierten Aufenthalt anzubieten, so dass sie sich auch offiziell in den marokkanischen Siedlungen und Städten niederlassen dürfen. Mit der Mehrzahl der obdachlosen und meist mittellosen Flüchtlinge aber will niemand etwas zu tun haben. Zelte sind in den Wäldern verboten – der Großteil der Flüchtlinge haust unter Plastikplanen. Sogar Kinder werden unter diesen Umständen dort geboren, das ist wirklich unmenschlich.
Stängle: Sie leben vom Müll. Sie wühlen in dem, was die Bewohner von Nador wegwerfen. Es gibt auch Organisationen, etwa unsere Partner, die katholische „delegación de migraciones“, die zur Caritas gehört, die Nahrungsmittel an die Flüchtlinge verteilen. Das Ganze läuft zurzeit nicht besonders koordiniert ab, aber es ist doch besser als nichts.
Stängle: Es waren knapp 400 Flüchtlinge, die in einem Pulk auf die Grenze zugerannt sind. Rund 150 haben es noch über den ersten Zaun geschafft, über den dritten und letzten noch etwa 40. Dort hat bereits die spanische Grenzpolizei auf sie gewartet. Nur ein einziger Flüchtling hat es geschafft, der Polizei durch die Lappen zu gehen und ist bis ins Flüchtlingslager in Melilla gekommen. Er durfte dann Asyl beantragen.
Stängle: Die wurden von der Grenzpolizei durch kleine grüne Türen in den Zäunen wieder zurück auf die marokkanische Seite gebracht. Teils waren die Menschen verletzt – einige hatten Schnittwunden, andere sind von den Zäunen gestürzt oder wurden von den Grenzpolizisten heruntergerissen. Das ist eine riesige Sauerei. Wer Europa betreten hat, muss Asyl beantragen können, so sieht es das Asylrecht vor.
Stängle: Nein. Die spanische Regierung hat eine Verordnung erlassen, die solche Fluchtaktionen als illegalen Grenzübertritt bewertet und somit als Straftat. Salopp gesagt: Wer direkt dabei erwischt wird, darf wieder auf die andere Grenzseite verfrachtet werden. Da ist die EU gefragt, Druck auf Spanien auszuüben, sich an geltendes Recht zu halten. Wer es über die Zäune schafft, muss auch Asyl beantragen dürfen.
Stängle: Nein, sicher nicht. Die Lösung muss in den Ländern passieren, aus denen die Flüchtlinge kommen. Der Migrationsdruck muss verringert werden – das ist jedoch keine kurzfristige Angelegenheit. Die westliche Welt hat zu lange tatenlos zugeschaut. Die meisten Schwarzafrikaner, die auf der Flucht sind, kommen nicht aus Kriegsgebieten – hier gibt es zur Flucht oft keine Alternativen. Sie kommen, weil sie politisch verfolgt oder unterdrückt werden. Die Weltgemeinschaft muss diese Probleme in diesen Ländern lösen, vorher gibt es kein Ende des Flüchtlingsstroms.
Stängle: Wir kooperieren mit der katholischen Organisation „delegación de migraciones“, die sich dort um die Flüchtlinge kümmert. Dauerhaft dürfen die Flüchtlinge nicht in Räumen der Organisation untergebracht werden, das erlauben die Marokkaner nicht. Aber nun sollen neue Räumlichkeiten für eine Art Kurzzeitübernachtung errichtet werden, um Flüchtlinge mit Gesundheitsproblemen oder Schwangere kurzzeitig unterzubringen. Foto: Privat
Grünhelme
Die Hilfsorganisation Grünhelme wurde 2003 gegründet von Rupert Neudeck (Cap Anamur) und Aiman Mazyek, der Vorsitzender des Zentralrates der Muslime ist. Ziel der Organisation ist es, in Kriegs- und Krisengebieten Infrastruktur und kulturelle Einrichtungen wieder aufzubauen. Die Grünhelme verstehen sich analog zu den Blauhelmen der Vereinten Nationen als ein Friedenscorps. Die Grünhelme verstehen sich als parteipolitisch neutral und nationalitäts- und religionsübergreifend. Sie sind in mehr als 20 Ländern Afrikas, Asiens und des Mittleren Ostens tätig. Sie finanzieren sich nur aus Spenden. Das Spendenkonto: Grünhelme e.V., IBAN: DE62430609670001070000, BIC: GENODEM1GLS, GLS Gemeinschaftsbank eG