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BERNREITER:
Minderjährige Flüchtlinge belasten Jugendämter extrem
Landrat Christian Bernreiter       -  Möchte für Flüchtlinge das Jugendhilfegesetz ändern: Landkreistagspräsident und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter (CSU).
Foto: Armin Weigel, dpa | Möchte für Flüchtlinge das Jugendhilfegesetz ändern: Landkreistagspräsident und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter (CSU).
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 12.07.2015 19:26 Uhr

Weil für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge die strengen Vorgaben des Jugendhilfegesetzes gelten, müssen Bayerns Kommunen für diese Personengruppe nicht nur hohe Summen aufwenden, sondern auch immer mehr hoch qualifizierte Fachkräfte suchen und einstellen. So gelten laut Jugendhilfegesetz bei der Betreuung von minderjährigen Flüchtlingen sogar Gymnasiallehrer nur als Hilfskräfte; überwiegend braucht man Sozialpädagogen. Der Präsident des bayerischen Landkreistages, Christian Bernreiter, hält derlei Regelungen für überzogen. Der CSU-Politiker aus Deggendorf plädiert dafür, die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge aus der Jugendhilfe herauszunehmen.

Frage: Die bayerischen Kommunen und Kreise fühlen sich bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge alleingelassen und fordern Hilfe. Weshalb?

Christian Bernreiter: Wir schaffen das einfach nicht mehr. Zur Betreuung der Flüchtlinge brauchen wir Fachkräfte; diese Fachkräfte kriegen wir nicht mehr. Man muss sich das klarmachen: Bundesweit haben wir 18 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; davon halten sich aktuell 8500 in Bayern auf.

Es fehlt also an Betreuungspersonal. Ist es denn so schwierig, Leute für die Betreuung zu kriegen?

Bernreiter: Ja, das ist derzeit extrem schwierig. Es ist nämlich so, dass laut Jugendhilfegesetz nur Sozialpädagogen die Hilfen für minderjährige Flüchtlinge festlegen dürfen. Auch in den Jugendhilfeeinrichtungen ist überwiegend der Einsatz von pädagogischen Fachkräften, also Sozialpädagogen und Erziehern, notwendig. Gymnasiallehrer und Realschullehrer können höchstens als Hilfskräfte eingesetzt werden. Deswegen ist bei den Sozialpädagogen und den Erziehern der Markt bayernweit vollkommen leer gefegt. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Vorgabe auch teilweise für die jungen Erwachsenen gilt, die als minderjährige Flüchtlinge gekommen sind und – bei einsprechender Einschätzung der Sozialpädagogen – auch nach dem 18. Geburtstag nach dem Jugendhilfegesetz betreut werden müssen.

Kann man die strengen Vorgaben zur Betreuung in Notzeiten nicht absenken?

Das habe ich vorgeschlagen. Es entspricht unserer Forderung, die minderjährigen Flüchtlinge aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz rauszunehmen. Es müsste eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um die derzeitigen Standards der Realität anzupassen. Allerdings handelt es sich um ein Bundesgesetz; da braucht man für eine Änderung die entsprechenden Mehrheiten.

Angenommen, Sie haben etwa in ihrem Landkreis Deggendorf eine bestimmte Zahl neu eingereister minderjähriger Flüchtlinge, aber nicht die Sozialpädagogen dafür. Was passiert dann?

Bernreiter: Wir als Kreis sind zuständig. Die Alterseinschätzung und die Festlegung der notwendigen Hilfen müssen sein. Deshalb müssen zurzeit andere wichtige Aufgaben des Amtes für Jugend und Familie unerledigt bleiben. Und wenn wir bei uns im Kreis nicht genug Heimplätze mit qualifizierten Betreuern mehr haben, dann müssen wir auch außerhalb Bayerns danach suchen.

Es kann also eine Situation eintreten, bei der wir einen minderjährigen Flüchtling beispielsweise in einem Heim in Bremen unterbringen, aber dennoch als bayerisches Jugendamt dafür die Zuständigkeit behalten – und dafür zahlen sowie auch für die fachliche Betreuung zuständig sind. Das bedeutet Dienstreisen bis nach Bremen. Und das angesichts der ohnehin stark steigenden Fallzahlen deutscher Kinder in der Jugendhilfe in den letzten Jahren.

Die bayerischen Jugendämter haben also Ihrer Ansicht nach die Grenzen der Belastbarkeit erreicht und sogar überschritten.

Bernreiter: Ganz genau. Darum fordern wir ja neben der Herausnahme der unbegleiteten Jugendlichen aus dem Jugendhilferecht auch, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gerecht auf alle Bundesländer verteilt werden.

Das ist ja auch eine Kostenfrage.

Bernreiter: Natürlich. Schon 2014 haben die bayerischen Bezirke für die Unterbringung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge 51 Millionen Euro aufgewendet, von denen der Freistaat bisher nur 3,7 Millionen Euro an die Kommunen zurückbezahlt hat. Der Rest wird über die Bezirksumlage finanziert, trifft also Kommunen und Kreise.

Das geht so nicht mehr weiter! Der Freistaat muss die Kosten komplett übernehmen! Dies haben Städtetag, Landkreistag und Bezirkstag auch gegenüber Bayerns Finanzminister Markus Söder gefordert.

Die Kosten für die Unterbringung junger Flüchtlinge in Bayern werden aufgrund stark steigender Zugangszahlen heuer vermutlich deutlich höher werden. Von welcher Summe gehen Sie aus?

Bernreiter: Das kann man sich relativ einfach ausrechnen. Wir haben Heimunterbringungstagessätze von bis zu 170 Euro pro Flüchtling. Das macht im Monat rund 5000 Euro und im Jahr rund 60 000 Euro. Bei aktuell 8500 unbegleiteten Flüchtlingen in Bayern kommt man da auf eine Summe von rund 510 Millionen Euro. Und wir haben erst Jahresmitte.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat im April einen Gesetzesentwurf präsentiert, der bei der Betreuung der minderjährigen Flüchtlinge die „Kommunen stärken“ und die „Länder entlasten“ soll und die jungen Flüchtlinge gerechter auf alle Länder verteilen soll. Sind Ihre finanziellen Probleme gelöst, wenn das Gesetz ab 2016 in Kraft tritt?

Bernreiter: Wenn das Gesetz 2016 kommt und die Neuankommenden nach dem Königsteiner Schlüssel in die verschiedenen Bundesländer verteilt werden, dann schaffen wir uns auch wieder Luft. Dann sind wir entlastet. Gleichzeitig erwarten wir, dass der Freistaat ab 2016 die Kosten für minderjährige Flüchtlinge und junge Erwachsene zur Gänze übernimmt. Allerdings drängen wir gerade, was das Bundesgesetz betrifft, auf schnellere Umsetzung. Wir brauchen jetzt Hilfe, bis 2016 halten wir nicht mehr durch; das ganze System fährt gegen die Wand. Wir brauchen eine Notverordnung. Und zwar jetzt.

Inwiefern trifft es Bayerns Bürger, wenn Bayerns Kommunen die durch minderjährige Flüchtlinge entstehenden Kosten jetzt finanzieren respektive vorfinanzieren müssen?

Bernreiter: Die Bürger merken das nur indirekt. Wenn die Kosten hier weiter steigen würden, dann würde natürlich auch die Bezirksumlage steigen und dann würde das die Gemeinden treffen. So, dass sie die Steuern erhöhen müssen. Nun haben wir ja derzeit wirtschaftlich gesehen eine sehr gute Situation. Und wir haben ein kleines finanzielles Polster, weil Bayern, verglichen mit anderen Bundesländern, in den letzten Jahren bei der Flüchtlingsunterbringung 81 Millionen Euro zu viel gezahlt hat und damit ein Guthaben hat.

Aber immer geht es nicht so weiter. Der Oberbürgermeister von Passau etwa, dessen Stadt genau wie Rosenheim, München und auch Deggendorf sehr viele minderjährige Flüchtlinge aufgenommen hat, hat ja schon damit gedroht, freiwillige Leistungen zu kürzen. Und das will ja eigentlich niemand.

Das letzte Jahr war also für Bayerns Kommunen belastend, dieses Jahr wird noch härter – weil aber Bayern gewisse Beträge schon vorfinanziert hat, ist die Not noch nicht stark spürbar.

Bernreiter: Aber es darf nicht so weitergehen. Neben den Kosten, die wir über die Bezirksumlage zu erbringen haben, bleiben wir momentan auch noch auf Kosten für die Betreuung sitzen: Wir müssen zum Beispiel für jeden Flüchtling Vormundschaften bestellen, von Amts wegen. Da hat der Freistaat den Haushaltstitel von 800 000 auf 8,5 Millionen Euro erhöht. Aber die 8,5 Millionen werden nicht ausreichen. Und auch da sind die Kommunen wieder in Vorleistung gegangen.

 
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  • G. P.
    Natürlich sind das alles keine Wirtschaftsflüchtlinge!

    In Bad Kissingen wird allerdings von Seiten der Behörden offen zugegeben, dass es sich durchaus um Wirtschaftsflüchtlinge handeln kann. Dort sind z.B. zehn Jugendliche aus Mali und Eritrea für 4.500 Euro pro Person und Monat in Bungalows untergebracht.

    "Vergleichen wir das einmal mit einer Familie, die das Territorium des Islamischen Staates wegen Lebensgefahr verlassen musste. Eine wirklich verfolgte Familie trennt sich nicht. Sie bleibt zusammen. Schon gar nicht schickt sie ihre Kinder alleine auf einen anderen Kontinent."
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