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Mia san mia in Brüssel
Schnupfen für Bayern: Randolf Rodenstock (li.) und Bertram Brossardt beim „Tag der Bayerischen Wirtschaft“ in Brüssel.
Foto: Obermaier | Schnupfen für Bayern: Randolf Rodenstock (li.) und Bertram Brossardt beim „Tag der Bayerischen Wirtschaft“ in Brüssel.
Aus Brüssel berichtet Michael Deppisch
 |  aktualisiert: 16.12.2015 10:12 Uhr

Jetzt also der Schnupftabak. Nach den Glühbirnen will die EU-Kommission den Europäern tatsächlich auch rauchlose Tabakwaren – so heißt das offiziell – verbieten. Eine Überarbeitung der Tabak-Richtlinie könnte dazu führen, erklärt Patrick Engels. „Es geht hier nicht nur um Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region“, sagt der Juniorchef der Pöschl Tobacco Group aus Geisenhausen bei Landshut, „es geht hier um ein bayerisches Kulturgut“. Mit den kleinen blauen „Gletscherprise“-Döschen ist das Familienunternehmen Weltmarktführer einer Nischenbranche.

Engels ist am Montag nach Brüssel gekommen um Flagge zu zeigen. Beim „Tag der Bayerischen Wirtschaft“ präsentiert sich ein gutes Dutzend Verbände und Unternehmen aus dem Freistaat. Audi und BMW sind da, es wird für „Camping in Bayern“ geworben, und die Messe Nürnberg verteilt in der Schokoladenhochburg Brüssel Pralinen aus Franken. Man gibt sich selbstbewusst. Am meisten los ist gerade am Pöschl-Stand: Drei führende Vertreter des Wirtschaftsstandorts Bayern haben sich zum dekorativen Schnupfen für die Fotografen eingefunden: Arbeitgeberpräsident Randolf Rodenstock, Bertram Brossardt, Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), und Bayerns quirlige EU-Verbindungsministerin Emilia Müller.

Die Bayern-Schau findet in einem Zelt im Hof der Bayerischen Vertretung in der Rue Wiertz 77 statt. Das fesch renovierte Quartier – 2004 bei der Eröffnung von Medien als „Schloss Neuwahnstein“ tituliert, heute aber weit mehr wert als die damals investierten 30 Millionen Euro – ist längst eine Brüssler Institution: Kein Land, keine Region hat einen beliebteren Stützpunkt. Und das wohl auch wegen der alle zwei Jahre hier stattfindenden Brüssler Variante des Oktoberfests. In diesem Jahr allerdings ist die andere Wirtschaft dran – und die hat Sorgen.

Arbeitgeberpräsident Rodenstock spricht in seiner Eröffnungsrede denn auch von einer „Katerstimmung in Europa“, der man jedoch trotzen wolle. Die Bayern seien ja „bekennende Europäer“, wenn auch „nicht nur aus Idealismus“. Gerade die stark exportorientierte bayerische Wirtschaft habe vom europäischen Binnenmarkt profitiert – und der werde nun 20 Jahre alt. Das wolle man feiern. Denn trotz der Schuldenkrise sei Europa mit seinen über 500 Millionen Menschen nach China und Indien „der drittgrößte Wirtschaftsraum und die produktivste Region der Welt“. Emilia Müller sagt es so: „Deutschland ist die Lokomotive in Europa und Bayern ist die Lokomotive in Deutschland“.

Dann trifft Martin Zeil ein. Auch Bayerns FDP-Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident lobt die „Erfolgsgeschichte europäischer Binnenmarkt“. Bayerns Unternehmen exportierten Produkte im Wert von 50 Milliarden Euro alleine in die Eurozone. Die Folge, so Zeil, sei: „Bayern geht es gut, wenn es Europa gut geht“. Doch die EU habe ein Imageproblem: „Europa hat keine Zukunft, wenn die Bürger nicht mehr erkennen, dass es ihr Europa ist“.

Zu Beginn des Festakts – mit Silvaner und Sankt Laurent von Staatlichen Hofkeller in Würzburg – herrscht eine entspannte Mia-san-mia-Stimmung; man kennt sich. Dann wird es hochpolitisch. Mit Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier, der als Nachfolgekandidat von Kommissionspräsident José Manuel Barroso gehandelt wird, tritt eine der Brüsseler Spitzen ans Pult.

Die Welt habe sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verändert, sagt Barnier. Und der Prozess der Globalisierung gehe weiter. So werde sich womöglich irgendwann kein europäisches Land mehr unter den G8 finden, den wichtigsten Wirtschaftsmächten der Welt. Die Frage sei daher: „Wollen wir auch künftig am Tisch der Großen sitzen?“ Die Idee der europäischen Einigung sei daher heute noch viel richtiger und wichtiger als in den 50er und 60er Jahren. Und so gebe es aus seiner Sicht keine Alternative zu einem gemeinsamen Europa. Und Europa müsse auch in Zukunft seine Spielregeln selbst bestimmen und dürfe kein Ableger der USA oder China werden. Dafür erhält der Franzose Applaus.

Deutlich wird Barnier beim Thema Finanzmärkte. Teile des Bankensystems hätten unverantwortlich agiert, damit müsse nun endlich Schluss sein: „Es reicht“. Seine Kritik gelte aber, das sei ihm wichtig, nicht für die kleinen und mittleren Regionalbanken in Deutschland, die „eine hervorragende Arbeit machen“. Europa habe enormes Potenzial – so lasse sich alleine durch die Digitalisierung des öffentlichen Auftragswesen bis zu 100 Milliarden Euro sparen.

Am nächsten Morgen, Punkt acht Uhr: Arbeitsfrühstück im gigantischen EU-Verwaltungstrakt, der wie ein Raumschiff neben dem Bayern-Schlösschen thront. Geschäftig geht es hier zu um diese Zeit, auf dem Flur telefoniert Grünen-Mann Reinhard Bütikofer wild gestikulierend, nebenan hat FDP-Vorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin eine kanadische Abordnung zu Gast. Immerhin acht EU-Abgeordnete sind der Einladung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gefolgt. Im Zehn-Minuten-Takt werden die Themen abgearbeitet: Es geht um Finanzmarktregulation, Betriebsrenten oder die Harmonisierung der Mehrwertsteuer– Unternehmer und Verbandschefs fragen, EU-Abgeordnete antworten. Ein heißes Thema sind die von der EU geplanten schärferen CO2-Ziele für die Autoindustrie. Sie würden vor allem die süddeutschen Premiumhersteller treffen, heißt es. Bertram Brossardt stellt klar: „Wer die deutsche Industrie attackiert, der attackiert das Herz unseres Landes“. Der Audi-Vertreter nickt zufrieden.

Der sächsische Abgeordnete Holger Krahmer berichtet, er habe den Niedergang eines planwirtschaftlichen Systems miterlebt. Und es seien drei Hauptgründe gewesen, die dafür gesorgt hätten: Zwang, Kontrolle und Zentralisierung. Daher dürfe es das in Europa nicht geben. Angelika Niebler von der CSU hat dann noch eine Bitte an die Besucher: „Werben Sie für die Parlamente“. Es gebe weltweit „kein Parlament, das so transparent arbeitet wie das EU-Parlament“.

Weitere Termine folgen, die vbw hat ein dichtes Programm getaktet. „In Brüssel wird einem nichts geschenkt“, sagt Bertram Brossardt zufrieden, man müsse ständig „dranbleiben“. Und das scheint dem Freistaat in den vergangenen Jahren durchaus gelungen zu sein. „Bayern ist mit Sicherheit die in Brüssel am besten repräsentierte Region der ganzen EU“, sagt Ingo Friedrich, europapolitisches Urgestein aus Franken und Vizepräsident des EU-Parlaments a.D.. Ob die Vertretung mit ihren gut 30 Mitarbeitern, die Aktivitäten der vbw oder die starke Präsenz der insgesamt 15 bayerischen EU-Abgeordneten – „Bayern leistet hier gute Arbeit“, lobt Friedrich: „Es war kein Zufall, dass Barnier hier war“.

 
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