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„Massives Korruptionsproblem“
Das Gespräch führte epd-Redakteur Daniel Staffen-Quandt
 |  aktualisiert: 23.12.2015 12:07 Uhr

Vor einem Monat wurde der Vertreter der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) im Jemen bei der Arbeit niedergestochen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt der Mediziner, was er für die größte Herausforderung in seinem Heimatland hält.

Frage: Herr Al Qubati, wie geht es Ihnen heute?

Yasin Al Qubati: Körperlich bin ich wieder in Ordnung, aber psychisch belastet mich der Zwischenfall nach wie vor. Der Angreifer – ein Patient – kam mit einem großen Messer in die Klinik und griff mich ohne große Vorwarnung an. Ich habe fast eine halbe Stunde mit ihm gekämpft, bis er überwältigt war und ich behandelt werden konnte.

Wann wollen Sie zurück in den Jemen und wollen Sie dort jemals wieder Ihrer Arbeit nachgehen?

Al Qubati: Ich bleibe noch etwa einen Monat in Würzburg, auch um mich medizinisch komplett durchchecken zu lassen, wenn ich schon einmal hier bin. Dann geht die Arbeit natürlich weiter. Mein Job ist mein Hobby, ich liebe meine Arbeit. Seit ich als Medizinstudent ein Krankenhaus von Mutter Teresa besucht habe, wollte ich Armen und Kranken helfen.

Und wie kamen Sie dann dazu, eine Lepra-Hilfe im Jemen mit Unterstützung der DAHW aufzubauen?

Al Qubati: Ich war 1983 ein junger Hautarzt und habe mich immer für Armutskrankheiten wie Tuberkulose oder Lepra interessiert. Ich bin damals durchs Land gereist, um den armen Menschen überall dort zu helfen, wo ich nur konnte. Aber das war zu wenig, also habe ich auf der ganzen Welt nach Sponsoren und Partnern gesucht. Seit 1988 arbeiten wir mit der DAHW zusammen, seither hat das Hilfswerk unsere Arbeit mit mehr als 3,5 Millionen Euro unterstützt.

Sie waren lange Chef des nationalen Lepra-Kontrollprogramms im Jemen. Ist die Krankheit dort wirklich noch so ein Problem?

Al Qubati: Der Jemen ist sicherlich kein Brennpunkt mehr, was Lepra angeht, wenn er das denn jemals war. Seit wir unsere Arbeit begonnen haben, ist die Zahl der wegen Lepra Behandelten von rund zwei Fällen auf 10 000 Einwohnern auf weniger als einen Behandelten auf 100 000 Einwohner gesunken. Ab weniger als einem Fall je 10 000 Einwohner gilt Lepra in einem Land laut der Weltgesundheitsorganisation als eliminiert.

Sie könnten sich also doch langsam zur Ruhe setzen...

Al Qubati: Nein, wir haben die Lepra jetzt zwar unter Kontrolle. Sie würde sich aber vermutlich sofort wieder ausbreiten – vor allem, wenn wir nicht mehr regelmäßig mit unseren mobilen Teams auf dem flachen Land, in den Wüsten unterwegs wären. Lepra ist eine Krankheit der Armen, und im Jemen sind viele Menschen arm und haben sehr wenig Bildung, obwohl wir eigentlich ein reiches Land sein könnten.

Wie meinen Sie das?

Al Qubati: Jemen hat so viele Bodenschätze: Öl, Gas, Gold und so weiter. Tatsache im Jemen aber ist, dass der Reichtum des Landes nur bei wenigen ankommt – wir haben ein massives Korruptionsproblem. Der Jemen ist eben kein Rechtsstaat, bei uns hatten und haben entweder Diktatoren oder die Scheichs der einzelnen Stämme das Sagen. Wenige Hände nutzen den Reichtum des Volkes ausschließlich für sich aus.

Sie sind ein politischer Mensch, haben sich am Arabischen Frühling in ihrem Land beteiligt. Hat sich seit 2011 nichts gebessert?

Al Qubati: Natürlich hat sich seither einiges gebessert. Trotzdem ist der Jemen ein Ort der Unsicherheit, der Angst. Das nutzen diejenigen aus, die von den Veränderungen Nachteile hätten – etwa Saudi Arabien oder eben die Stammesführer. Sie lassen deshalb auch keinen Versuch aus, den Jemen weiter zu destabilisieren. Etwa, indem Ausländer entführt oder immer öfter der Strom abgeschaltet wird. Oder auch wie mit dem Messerangriff auf mich in der Klinik.

Sie glauben, das Attentat war politisch motiviert?

Al Qubati: Das kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe mir in den vergangenen Jahren nicht gerade viele Freunde unter den bislang Herrschenden gemacht. Ich habe mich dafür starkgemacht, dass Jemen dem Internationalen Strafgerichtshof beitritt. Zuvor habe ich die Oppositionellen während des Arabischen Frühlings in meinem Land unterstützt, habe kritische Artikel über unsere Regierung und auch über das ungleiche Verhältnis zu Saudi Arabien geschrieben.

Während des Arabischen Frühlings mussten Sie auch mehrere Monate im Exil leben. Wie kam das?

Al Qubati: Ich war auf einem Dermatologen-Kongress in Südkorea. Auf dem Rückflug hatte ich einen Zwischenstopp in Katar, dort erreichte mich die Nachricht, dass die Armee das Feldhospital der Opposition in meiner Stadt gestürmt, die Zelte in Brand gesteckt und etliche Menschen getötet hat. Ich flog deshalb weiter nach Kairo und habe mich vom Exil aus mehrfach politisch betätigt und in den Medien geäußert.

Trotzdem haben Sie sich der Gefahr ausgesetzt und sind zurück in Ihre Heimat gegangen. Warum?

Al Qubati: Es stimmt schon, der Jemen heute ist gefährlicher als noch vor 20 Jahren. Aber beim Arabischen Frühling geht es um so wichtige Dinge für mein Land, es werden wichtige Weichen gestellt. Ich will nicht länger in einem islamistischen Land leben, in dem es keine klare Grenze zwischen Staat und Religion gibt. Ich will nicht weiter unter Diktatoren leben, die ihr Land ausnutzen und ihre Bevölkerung arm halten. Ich versuche schon mein Leben lang, in meiner Heimat eine neue, moderne Gesellschaft mitzuentwickeln – auch deshalb wurde ich attackiert.

Wie könnten die westlichen Staaten dabei helfen?

Al Qubati: Etwa, indem man Ex-Präsident Ali Abdullah Salih mit seiner Familie nicht einfach weltweit freies Geleit ermöglicht. Er war ein Diktator und genießt trotzdem überall Immunität! Alleine in Deutschland hat er viele Milliarden Euro gebunkert, die er nun überall unbehelligt ausgeben kann. Mit diesem Geld nimmt er nach wie vor Einfluss von außen auf das Land und versucht es zu destabilisieren.

Yasin Al Qubati

Der 63-jährige Mediziner engagiert sich in seiner Heimat Jemen im Kampf gegen Lepra und setzt sich für politische Reformen ein. Al Qubati erholt sich derzeit in Würzburg auf Einladung der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) von einem schweren Messerangriff. Ein vermutlich von islamischen Extremisten aufgewiegelter Patient hatte 17 Mal auf den Dermatologen eingestochen und ihn dabei im Gesicht und am Kopf verletzt.

FOTO: DAHW/Jochen Hövekenmeier

 
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