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Leitartikel: Zypern und der Kapitalismus
Von Michael Deppisch michael.deppisch@mainpost.de
 |  aktualisiert: 21.03.2013 19:46 Uhr

Ein kleiner Inselstaat im Mittelmeer. Das klingt ein wenig nach Lummerland, wo Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer lustig durch die Gegend sausen. Doch Zypern ist keine nette, harmlose Inselrepublik. Jahrelang wurden Milliarden von Anlegergeldern – gerne aus Russland – mit geradezu paradiesischen Konditionen an Land gezogen, Zypern feierte sich als internationaler Finanzplatz. Damit ist es nun vorbei, die Rechnung aber wird teuer – egal, wer am Ende zahlt.

Doch all das ist nur eine Momentaufnahme. Das, was alle „die Krise“ nennen, es ist längst der Normalzustand geworden: Überschuldete Staaten kämpfen ums Überleben und die Finanzhaie zocken einfach weiter. Auch wenn im deutschen Alltag wenig davon zu spüren ist – ob in Nikosia, Athen oder Madrid, europaweit gehen Menschen Tag für Tag auf die Straße und schreien ihren Zorn gegen eine aus dem Lot geratene Welt hinaus.

Der Publizist Dirk Kurbjuweit hat es vor einiger Zeit im „Spiegel“ auf den Punkt gebracht: Ein völlig außer Kontrolle geratener, „ruchloser Kapitalismus“ tanze den ohnmächtigen Demokratien auf der Jagd nach immer höheren Profiten auf der Nase herum. Das Motto der gierigen Jünger dieses gnadenlosen Kapitalismus, so Kurbjuweit: „Egal, was mit der Welt passiert, Hauptsache mein Bonus ist siebenstellig.“

Wie konnte es so weit kommen? Kapitalismus in Reinform ist auf die Steigerung der gesellschaftlichen Ungleichheit ausgerichtet: Will ich mehr verdienen, müssen andere dafür bezahlen, das ist seine Logik. Gesetze, Moral oder Gerechtigkeit – das sind keine Maßstäbe des Kapitalismus. Seine Währung heißt Geld. Seine Tugend ist die Gier.

Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Kommunismus plötzlich eine starke gesellschaftliche Alternative zu den westlichen Demokratien entstand, wurde der Kapitalismus für einige Jahrzehnte maßvoll. In Deutschland etablierten sich der rheinische Kapitalismus und die soziale Marktwirtschaft. Kapitalismus funktioniert damals noch auf Basis der Produktionswirtschaft. Dies sorgte für starke Gewerkschaften, die gemeinsam mit einer am Gemeinwohl interessierten Politik die Bestie zähmen konnten.

Dann aber zerfiel Ende der 80er Jahre der Kommunismus. Plötzlich konnte der Kapitalismus – die Bedrohung durch ein alternatives Gesellschaftssystem war ja verschwunden – frei schalten und walten, wie er wollte. Da zeitgleich die moderne Kommunikationstechnik die Märkte virtuell und rasend schnell werden ließ, begann der Siegeszug des globalen Finanzkapitalismus.

Wohin dieser Weg geführt hat, das erleben wir nun. Es kann für Europas Demokratien so nicht weitergehen. Doch die Politik alleine ist machtlos. Es braucht also tatsächlich einen gesellschaftlichen „New Deal“, ein Abkommen für ein neues Europa: Sparergeld gegen die Gier der Spekulanten. Ja, es wird nicht mehr anders gehen – wir müssen uns wohl oder übel freikaufen. Da lagen die EU-Finanzminister mit ihren Plänen für Zypern gar nicht so falsch.

Alleine die Deutschen besitzen ein Nettogeldvermögen von fast fünf Billionen Euro, in der Eurozone sind es viele weitere Billionen. Ein kleiner Teil davon würde reichen, um die Schulden zu reduzieren, das Finanzsystem umzubauen und Hedgefonds und andere Finanzraubritter vor die Tür zu setzen.

Es wäre die Vertreibung aus dem Paradies. Denn ein Europa ohne Finanzkapitalismus wäre das Paradies.

 
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  • bacigalupo
    Gut können wir uns noch an die Zeit erinnern, als uns die Vorteile des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gegenüber dem sozialistischen Systems vorgelogen und verkauft wurden. Jetzt haben wir dieses hochgelobte System, sogar in der reinen Form des Finanzkapitalismus. Und nun schlägt Ihr Kommentator allen Ernstes vor, wir sollten uns freikaufen, um die Demokratie zu retten, und damit den Kapitalisten noch mehr Geld in deren gierigen Rachen zu werfen. Freikaufen mit dem Geld der Sparer, freikaufen mit unserem Volksvermögen. Man darf sich fragen, ob dieser Mann noch ganz bei Trost ist. Nicht Freikaufen und weiteres Mästen der Gier darf die Lösung sein, sondern ein Bekämpfen dieses kapitalistischen Systems mit allen Mitteln. Unser Grundgesetz erteilt uns das Recht und die Pflicht zu Widerstand (Artikel 20). Dieses Recht soll und muß zur Rettung eines sozialen Systems von Marktwirtschaft endlich wahrgenommen werden.
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  • Du_di_ned_oo
    Ja - es gibt diesen Siegeszug.
    Sie schreiben - Die Politik sei machtlos gegen die Akteure dieses größten Raubzugs.
    Ich meine viele sogenannte Volksvertreter oder Staatsekretäre, Beraterstäbe, EU-Kommisare, etc. sind inzwischen Handlanger dieser Gruppen.
    Es fällt nicht schwer hier Beispiele zu finden.
    In Deutschland: Politker wie Kohl, Schröder, Merkel, Mappus, Koch, Westerwelle, Wulff, ... Politikberater wie Asmussen, Hans Werner Sinn etc.

    Ein anderes konkretes Beispiel aus den Vereinigten Staaten:

    Der frühere US-Notenbank-Chef Alan Greenspan ist seit Januar 2008 Berater der Paulson & Co. Gesellschaft.

    Paulson wurde berühmt, da er während der Subprime-Krise rechtzeitig gegen den Immobilienmarkt gewettet hatte und damit im Jahre 2007 rund 3,7 Milliarden Dollar verdiente, mehr als jeder andere Hedge-Fonds Manager in diesem Jahr.

    Sein Privatvermögen in Mrd. US-Dollar:
    2007: 2,5
    2008: 3,0
    2010: 12,0

    http://de.wikipedia.org/wiki/John_Paulson
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  • Du_di_ned_oo
    Gewiss bei uns alles ein paar Nummern kleiner.

    Nehmen wir z.B. den Ex-Wirtschaftsminister Glos
    Er war neben seiner Abgeordnetentätigkeit nicht nur Aufsichtsrat in zwei Banken,
    in Energiekonzernen sondern auch bei Hedge-Fonds wie RHJ.
    https://lobbypedia.de/wiki/Michael_Glos

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ripplewood_Holdings

    Kritische Berichte wie in denen die Verknüpfungen etwas deutlich gemachter werden:
    Zurück bleibt ein Milliardenloch
    http://www.sueddeutsche.de/geld/us-investor-uebernimmt-ikb-zurueck-bleibt-ein-milliardenloch-1.688290

    http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=14865

    Schon gar nicht von der MP oder von Michael Deppisch.
    Stattdessen Artikel wie diese mit denen sich die Volksvertreter auf ihren Seiten schmücken.
    [Michael Deppisch über Michael Glos]

    Ich nenne dies Hofberichterstattung.
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  • Du_di_ned_oo
    Glauben Sie wenn die Sparer fleißig zusammenlegen um die Banken erneut zu retten wird alles gut. Ich glaube dies nicht.

    Meldungen wie:

    Paulson, Hedgefonds liebäugeln mit Umzug nach Puerto Rico

    Das puerto-ricanische Steuergesetz ist für Leute wie Paulson, die das meiste Geld mit Investments verdienen, ein wahrer Segen. Kapitalerträge, die nach der Übersiedlung erzielt werden, sind steuerfrei. Dividenden und Zinserträge von US- Unternehmen werden in Puerto Rico nicht besteuert, wohl aber noch in den USA.

    [Bericht in 'Die Welt']

    lassen mich da zweifeln. Sie nicht?
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  • Du_di_ned_oo
    Sie haben m.E. schon recht viel ganz gut beschrieben.
    Ja es ist wohl etwas wahres dran - Ja die BRD war ein Vorzeigekapitalismus.

    Aber ein klares Nein zur Vorstellung wir könnten "Die Krise" beenden indem wir uns "freikaufen" indem wir erneut Banken retten - diesmal indem wir indem wir die Konten der Sparer plündern.
    Da liegen die EU-Finanzminister ganz falsch.
    Sie sehen die Symptome die sie sehen als Ursache aber die Ursachen liegen eben tiefer.
    Sie fordern Reformen. Vermutlich sowas wie die Boni-Begrenzungen die auch Merkel nach 2008 forderte.

    Als durch die Naturwissenschaft geprägter Mensch neige ich dazu
    Theorien auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.
    Mit guten Theorien kann man auch Voraussagen machen.
    Was waren die Voraussagen der neoliberalen Theorien der Mainstream-Ökonomie ?
    Haben diese eine Krise vorhergesagt? Nein haben sie nicht.
    Gab es andere welche die Krise viele Jahre und Jahrzehnte vorher voraussagten. - Ja!
    Hat man auf diese mahndenden Stimmen gehört? Nein!
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  • Du_di_ned_oo
    Sie und die Politiker und deren Berater aus den Bankentürmen wollen nicht zugeben, dass der Fehler grundsätzlich im System liegt. Sie weigern sich die tieferen Ursachen zu benennen. Sie sehen zwar die Symptome (über diese kann man nun wirklich nicht mehr hinwegsehen) aber beschreiben diese als Entgleisungen von Einzelnen die man einfach durch den Staat zügeln müsse. Das Versagen von Bankmanagern, die 'Nach mir die Sintflut' Einstellung von Bankstern und anderen Hasardeuren die Gier sind aber nicht die Ursachen. Diese waren nur Brandbeschleuniger beim anhaltenden Melt-Down des real existierenden Finanzkapitalismus.

    Durch diese gedanklichen Blockaden wirken die Krisen nicht als Anstoß grundsätzliches zu überdenken sondern stattdessen an den Symptomen herum zu kurieren.
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  • Du_di_ned_oo
    Günther Moewes schreibt in einem Artikel: 'Über Krisen und Chancen'
    im Jahre eins nach Lehman Brothers (2009) in der Zeit der wachsenden Rettungsschirme:

    Bei genauerem Hinsehen ist die „Krise“ überhaupt keine Krise,
    sondern die „schöpferische Zerstörung“ einer unerhörten Fehlentwicklung.
    Die gigantische, jahrzehntelange Milliardenwanderung auf die Privatkonten
    der Milliardäre macht sich in Zusammenbrüchen Luft. Der
    „Markt“ schlägt zurück. Genau das kann die herrschende
    Ökonomie und Politik aber nicht mehr sehen und zugeben.
    Der Zeitgeist versperrt ihr die Sicht.


    http://www.humane-wirtschaft.de/01-2009/moewes_krisen-und-chancen.pdf

    Zum Begriff der schöpferischen Zerstörung (u.A. auch von Schumpeter gebraucht)
    den er wohl anspricht:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6pferische_Zerst%C3%B6rung
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