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Leitartikel: Zurück in die Zukunft, USA!
Von Carolin Kreil carolin.kreil@mainpost.de
 |  aktualisiert: 08.10.2013 20:03 Uhr

Verständnislos blickt man auf die USA. Dort wird ein Land von Minderheiteninteressen in Geiselhaft genommen, sind Hunderttausende Staatsangestellte im unbezahlten Zwangsurlaub. Die Führungsmacht der westlichen Welt erlebt zum zweiten Mal in 20 Jahren den „Shutdown“ durch die Weigerung des Kongresses, Geld für den Betrieb bereitzustellen. Nächste Woche könnte es noch schlimmer werden. Dann droht die Staatspleite.

Wie in den 90er Jahren unter Präsident Bill Clinton dient dieser Shutdown einem Ziel: einen demokratischen Präsidenten kleinzukriegen. Damals versuchte es der Mehrheitsführer der Republikaner Newt Gingrich, heute sind es ein paar Dutzend radikale Republikaner, die Tea Party. Ihr Hebel ist das Haushaltsrecht, das mächtigste Instrument aller Parlamente. Und nun wendet sich dieses Privileg gegen das System bis zur Selbstzerstörung?

Volksvertreter, die eine Minderheitsmeinung durchboxen ohne Rücksicht auf das Wohl des Landes? Unvorstellbar. Hierzulande kennen wir nur die Konsensdemokratie. Die Volksvertreter sind verdammt zur Zusammenarbeit. Man muss sich um Deutschland weniger Sorgen machen als um die USA. Dort herrscht eine Präsidialdemokratie, kein Verhältniswahlrecht. Nur die Stimmen des Gewinners zählen. Sitze im Repräsentantenhaus werden zum Schleudersitz für den, der Entscheidungen abgehoben von Wählern trifft. Und das alle zwei Jahre, das ist die schlechte Seite des Wählerdiktats. Für Arbeit im Dienst des Landes bleibt nicht viel Zeit.

Es geht vordergründig um die Blockade der ungeliebten Gesundheitsreform Barack Obamas. Ein Meilenstein nach europäischen Maßstäben. Auch in den USA hat es, seit die Reform am 1. Oktober in Kraft trat, einen Ansturm gegeben. Der vermeintliche Kampf um Freiheit ist vorgeschoben. Es geht darum, Obama den Erfolg streitig zu machen und die Freiheit von Versicherungsfirmen nicht einzuschränken. Oder der Pharmalobby zu überlassen, wie viel sie verdient.

Doch auch diese Erklärung greift zu kurz. Dem Erfolg der Tea Party liegt ein Phänomen zugrunde, das bisher als Stärke der USA galt: Vaterlandsliebe als Kitt für alle Kulturen und Nationalitäten. Ob Christ oder Moslem, zuerst waren alle Amerikaner. Am 11. September 2001 wurde dieser Grundkonsens pulverisiert.

Vieles ist seitdem geschehen. Zwei Kriege, Schulden, Korruption, Wirtschaftskrise, die in den Augen der Tea Party fatale Wahl eines farbigen Präsidenten. Damit vollzieht sich in der Politik ein Wandel, den die Gesellschaft vorweggenommen hat. Die Tea Party bündelt verängstigte, oft mäßig gebildete Weiße, die seit 2001 lernen mussten, wie verletzlich ihr Lebensmodell aus Wirtschaftswachstum und Konsumglaube ist. Die, die das Land angeblich am meisten lieben, machen es nun kaputt. Das widerspricht jedem uramerikanischen Wert und erinnert an Überfremdungsängste in Europa.

Mit der Angst vor Überfremdung hat das aber wenig zu tun. Es geht um einen schwierigen Übergang. Die Tea Party hat den Grundkonsens seit Kennedys Zeiten aufgekündigt. Danach fragen Amerikaner zuerst, was sie für ihr Land tun können. Das politische System ist darauf aufgebaut. Die Vereinigten Staaten, allen voran die Partei der Republikaner, müssen sich von radikalen Blockierern befreien, um zu neuer Größe zu finden. Die Fähigkeit, Extremisten klein zu halten, hat das Land immer ausgezeichnet. Zurück also in die Zukunft, USA!

 
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