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Leitartikel: Zunehmende Entfremdung
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 17.06.2015 19:33 Uhr

Der Andrang wird groß sein und das Ergebnis dürftig. Mit Vizekanzler Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Fraktionschef Thomas Oppermann hat der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Edathy-Affäre aufklären soll, heute die Hautevolee der SPD als Zeugen geladen. Dass ihr damaliger Kollege Sebastian Edathy im Verdacht stand, kinderpornografisches Material zu besitzen, wussten alle drei sehr früh. Die entscheidende Frage allerdings werden auch sie dem Ausschuss nicht beantworten: Wer hat den Abgeordneten aus Niedersachsen vor den Ermittlungen gegen ihn gewarnt, so dass dieser womöglich noch Beweismaterial vernichten konnte?

Juristisch ist der Fall Edathy mit einer Geldbuße von 5000 Euro abgeschlossen. Politisch birgt er noch immer alle Ingredienzen, die eine Koalition unter anderen Umständen schnell an den Rand des Scheiterns führen würden: Ein Minister der Union, der zurücktreten musste, weil er die SPD diskret über einen schwerwiegenden Verdacht gegen einen ihrer Abgeordneten informiert hatte. Jede Menge Mitwisser in der niedersächsischen Justiz, aber auch in der SPD, und mittendrin der Abgeordnete Michael Hartmann, der tatsächlich mit Edathy gesprochen hat, von dem aber niemand weiß, woher er sein Wissen über die Ermittlungen hatte und ob er nicht in höherem Auftrag gehandelt hat, möglicherweise in dem seines Fraktionsvorsitzenden Oppermann. Für den war Edathy im Herbst 2013 vor allem eines: Ein Problem, das möglichst schnell gelöst werden musste.

Seit mehr als einem Jahr liegt die Edathy-Affäre wie ein Schatten über der Großen Koalition. Dass sie nicht an ihm zerbrochen ist, hat vor allem mit dem Zeitpunkt zu tun, an dem sie publik wurde: Union und SPD waren wenige Monate nach der Wahl noch dabei, sich zu sortieren. In dieser Phase war der Kanzlerin der Betriebsfriede in ihrem neuen Regierungsbündnis wichtiger als eine rückhaltlose Aufklärung. So konnte Oppermann Fraktionschef bleiben, obwohl er sich mit seinen widersprüchlichen Aussagen genauso angreifbar gemacht hatte wie zuvor der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich, der ein Dienstgeheimnis verriet. Wenn man so will, steckt in diesen Tagen der Kern für die zunehmende Entfremdung von Union und SPD: Wo Vertrauen hätte wachsen sollen, regierte von Anfang an das Misstrauen.

Auch der Untersuchungsausschuss hat das diffuse Dunkel, das die Affäre umgibt, nicht wirklich ausleuchten können. Im Gegenteil. Die Spuren, die aus der SPD zu Edathy führen, werden immer verzweigter, die Gedächtnislücken der mehr als 100 Eingeweihten immer größer. Mit den Mitteln eines Parlamentes lässt sich das Kartell des Schweigens, auf das die Aufklärer immer wieder stoßen, offenbar nicht knacken. Vor allem Oppermanns Rolle ist nach wie vor unklar. Wusste er dank seiner guten Kontakte nach Niedersachsen schon über den Verdacht gegen Edathy Bescheid, ehe Friedrich dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel davon erzählte?

Sicher ist bislang nur eines: Dass der Kreis der Mitwisser deutlich größer war als ursprünglich angenommen. So lange jedoch keiner von ihnen die Mauer des Schweigens durchbricht, wird der Fall Edathy enden wie viele andere Skandale auch, die Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden: Mit einem dicken Abschlussbericht, der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.

 
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