Das Einheitsfazit von Angela Merkel klingt ein wenig trotzig: „Insgesamt bleibe ich dabei: Die Dinge sind gut gelaufen.“ Natürlich weiß die Bundeskanzlerin, dass auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung die weiterhin erkleckliche Nörglerschar in Ost und West gerne ein anderes Bild vom Nachwende-Deutschland zeichnet. Dennoch: Unter dem Strich fällt die Bilanz für das vereinte Deutschland positiv aus.
Man braucht sich nur noch einmal die Situation im Herbst 1990 vor Augen zu führen. Wer seinerzeit mit dem Auto durch die ehemalige DDR fuhr, sah Städte in ziemlich heruntergekommenem Zustand. Viele Gebäude waren, freundlich formuliert, stark renovierungsbedürftig. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, beschreibt den Zustand des Landes mit einem Wort: desolat. „Die DDR hatte nach 40 Jahren Planwirtschaft eine ineffiziente, international nicht wettbewerbsfähige Wirtschaft. Der Kapitalstock war verschlissen.“
Und heute? Überall in den östlichen Bundesländern sind wettbewerbsfähige Unternehmen mit durchaus attraktiven Arbeitsplätzen entstanden. Straßen und öffentlicher Nahverkehr sind erneuert und ausgebaut worden. Der Verfall der Innenstädte konnte gestoppt werden. Und gelegentlich gibt es sogar die vom damaligen Kanzler Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“.
- Mehr Ost-West-Geschichte(n) im Online-Special zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit
Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass in Ostdeutschland mittlerweile überwiegend eitel Sonnenschein herrscht und Tristesse eine Vokabel aus vergangenen sozialistischen Tagen ist. Nein, längst nicht alle Unterschiede zwischen Ost und West sind überwunden. Die Wirtschaftskraft der neuen Länder ist nach wie vor deutlich geringer als die der alten. Es gibt niedrigere Löhne und Renten im Osten Deutschlands. Fast zwei Millionen Menschen haben die fünf ostdeutschen Bundesländer im Laufe der Jahre verlassen. Viele Betriebe finden keinen Nachwuchs, ganze Dörfer sterben aus – obwohl sie unterdessen hübsch restauriert sind.
Gewiss: Es gibt auf dem Weg hin zu annähernd gleichen Lebensverhältnissen in Ost und West noch einiges zu tun. Das bislang Erreichte kann sich trotzdem sehen lassen. Denn „Einheit ist eben kein politischer Willensakt“, wie der Bevölkerungsforscher Rainer Klingholz zu Recht anmerkt, „sondern ein langsamer Prozess, der mindestens noch eine Generation dauert“.
Dank zahlreicher Meinungsumfragen im Vorfeld des Einheitsjubiläums wissen wir: Die Mehrheit der Ostdeutschen weiß die insgesamt gute Entwicklung der vergangenen 25 Jahren zu schätzen. Sie sind so optimistisch wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Jeder zweite Bundesbürger im Osten sieht sich als Gewinner im vereinten Deutschland – nur 23 Prozent als Verlierer. Egal, ob es um Werte, Prioritäten oder Ängste im Leben geht: Ost und West waren noch nie so nah beieinander wie heute. Etwas mehr als die Hälfte der Westdeutschen hat das wiedervereinte Land ebenfalls mit dem Etikett „positiv“ versehen.
Wir sind also auf dem besten Weg, ein ganz normales Land zu werden. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es eine völlige Gleichheit der Lebensverhältnisse wohl nie geben wird. Dafür sorgen unter anderem die regionalen Unterschiede. Freilich: Die gibt es nicht nur zwischen Ost und West, sondern genauso zwischen Nord- und Süddeutschland.