Stets „mit einem Fuß im Gefängnis“ stehe man ja als Chef eines großen Konzerns. So hat erst vor wenigen Wochen der damalige Volkswagen-Chef Matthias Müller sein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro gerechtfertigt. Kurz darauf musste Müller seinen Posten beim Wolfsburger Autobauer räumen. Für Müllers Vorgänger und Ziehvater Martin Winterkorn könnte sich die Einschätzung nun ziemlich bald bewahrheiten. Immer neue Details über dessen Rolle in der Affäre um die Manipulation der Abgaswerte bei Millionen Dieselautos aus dem Volkswagen-Konzern kommen ans Licht. In den USA wurde gegen die frühere Lichtgestalt des deutschen Autobaus bereits wegen „Verschwörung zum Betrug gegen die Vereinigten Staaten“ Haftbefehl erlassen, es drohen 25 Jahre im Gefängnis. Indizien legen nahe, dass Winterkorn weit früher vom Abgas-Betrug erfahren hat, als er zugibt. Auch in Deutschland wird eine Anklage immer wahrscheinlicher. Da ist es nur konsequent, wenn nun der Volkswagen-Konzern prüft, wie er sich gegebenenfalls an Winterkorn schadlos halten kann. Der hat in seiner Karriere schließlich über 100 Millionen Euro verdient, Ruhegelder in Höhe von 30 Millionen Euro stehen ihm noch zu.
Jetzt sind die deutschen Gerichte am Zug
Als Chef in den fraglichen Jahren trägt er die Hauptverantwortung für die Diesel-Misere und das eben nicht nur, wenn er die dreisten Schummeleien selbst angeordnet oder davon gewusst und nichts dagegen unternommen hätte. Winterkorn könnte es auch dann ans stattliche Privatvermögen gehen, wenn er es „nur“ versäumt hätte, die notwendigen Kontrollmechanismen zu schaffen. Was Winterkorn letztlich an möglichem Fehlverhalten nachgewiesen werden kann, müssen die Gerichte jetzt endlich klären – und zwar aller Voraussicht nach die deutschen, eine Auslieferung in die USA mutet unwahrscheinlich an. Es mag kaum vorstellbar scheinen, dass der Autonarr, dem nachgesagt wurde, jedes Konzern-Fahrzeug bis zum kleinsten Schräubchen zu kennen, vom groß angelegten Abgas-Betrug nichts gewusst haben soll. Trotzdem gilt für Winterkorn bis zum Richterspruch die Unschuldsvermutung, Politik und Öffentlichkeit halten sich einstweilen besser mit Vorverurteilungen zurück und vertrauen auf die Justiz. Ist er schuldig, muss er haften.
Nur ein Tropfen auf den heißen Stein
Auch der VW-Konzern und die geschädigten Aktionäre hätten dann allen Grund, ihre Ansprüche unnachgiebig geltend zu machen. Doch angesichts des immensen Schadens für Volkswagen, der auf rund 26 Milliarden Euro beziffert wird, wäre selbst das gesamte Winterkorn-Vermögen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und der Hauptkonflikt spielt sich auch nicht zwischen Martin Winterkorn, VW und der Justiz ab. Nein, es geht um die Millionen Besitzer von Dieselautos aus dem Volkswagen-Konzern, denen Fahrverbote drohen, deren Autos teils jetzt schon kaum mehr verkäuflich sind. Volkswagen als Unternehmen ist ihnen etwas schuldig. Mitunter entsteht aber der Eindruck, dass für den Staat da die Interessen des Autobauers schwerer wiegen. Ja, es muss Ziel bleiben, den Mega-Arbeitgeber VW nicht durch überharte Maßnahmen in den Ruin zu treiben. Doch der Vertrauensverlust könnte das Überleben von VW am Ende mehr gefährden.
Die Firma muss sich endlich voll zu ihrer Verantwortung bekennen. Das heißt: VW muss schmutzige Autos sauber machen, nicht nur durch Software-Updates, sondern wenn nötig durch den teureren Einbau zusätzlicher Filtertechnik. Auf eigene Kosten, nicht die der Kunden oder Steuerzahler. Und auch das Thema Entschädigung muss auf den Tisch. Das ist teuer, aber unabdingbar, um den leidigen Dieselstreit abzuhaken. Denn wenn der Konflikt läuft und läuft und läuft, wie es einst in der Käfer-Reklame hieß, kann es sein, dass bei VW irgendwann gar nichts mehr läuft.