Geschafft! Geschafft? Haben Sie alle Geschenke? Alle Einkäufe gemacht? Der Handelsverband Deutschland zählte auf seiner Internetseite unerbittlich die Zeit herunter, die dem Kunden bis Heiligabend noch blieb. Die elektronische Ziffernanzeige mahnte zur Beeilung: Auf ins Getümmel! Zur Bescherung ist es nicht mehr weit.
Das Weihnachtsgeschäft ist eine feste Größe für die Einzelhändler, in Buchläden oder Spielzeuggeschäften verdoppelt sich im Advent der Umsatz alle Jahre wieder. Konsum, Konsum, Konsum. Schmuck, Kosmetik und lauter schöne Dinge wollen gekauft sein, um am 24. Dezember unter dem Baum zu liegen. Und der finale Kaufrausch kann dem Handelsverband gar nicht groß genug sein – nach anfangs „nur durchwachsenem“ Weihnachtsgeschäft.
Geschafft? Last-Minute-Einkäufer, die traditionell am Vierundzwanzigsten nach Geschenken hetzen, stehen an diesem Heiligen Abend vor geschlossener Ladentür. Es ist Sonntag – und so bleibt vor der Päckchenschlacht am Gabentisch schon Zeit zum Innenhalten, zur Besinnung.
Wir sind umgeben von Dingen, manchmal umzingelt gar. Besonders an Weihnachten, der Zeit, in der wir die meisten Dinge geben, wünschen, bekommen. Und der Zeit, in der uns all diese Waren nerven, problematischer als sonst erscheinen. Hinter wie vielen Geschenken steht nicht – ob moralisch oder aus Platzgründen – die Frage: Brauchen wir das alles? Hat man nicht schon ein Parfüm, eine Bratpfanne, ein Buch?
Zehntausend Dinge: Wieso haben wir so viel Zeug?
Statistiker sagen, dass in Deutschland heute jeder im Schnitt fast hundert Kleidungsstücke im Schrank hat und ungefähr zehntausend Dinge besitzt. Warum haben wir so viel Zeug? Der Historiker Frank Trentmann sagt, wir konsumieren, weil wir unsere Identität damit verknüpfen, welche Sachen wir haben und wie wir damit umgehen. Wir erwerben Dinge nicht nur, wir machen sie uns zu eigen– und „erfinden“ uns selbst dadurch immer wieder neu. Früher hatte man eine Lieblingsjacke und trug sie 20 Jahre. Heute mag man sich nach zwei, drei Jahren in seinen acht Jacken nicht mehr. Wir wollen uns entwickeln, verändern wandeln unsere Identitäten – und brauchen dafür neue Sachen.
Frank Trentmann erforscht die Geschichte des Konsums seit vielen Jahren. Und vielleicht hat er das Buch des Jahres vorgelegt. An Dicke und Gewicht ist seine 1104 Seiten umfassende „Herrschaft der Dinge“ zumindest kaum zu überbieten. Ausführlichst beschreibt der Historiker darin 600 Jahre globale Konsumgeschichte – und wie es kam, dass wir immer mehr Dinge besitzen wollten. Das Immer-mehr-immer-Mehr begann, so schreibt Trentmann, vor Massenproduktion und Industrialisierung. Im Italien der Renaissance, in China und in den Kolonialmächten Niederlande und England.
Triebfeder des Fortschritts – und Verursacher der Probleme
Die Händler versorgten den Markt mit immer mehr Dingen. Also konsumierte man, begann sich durch das Besitzen abzugrenzen – und wollte nur noch mehr Waren. Konsum, Konsum, Konsum. Triebfeder des Fortschritts – und zugleich Ursache für Ressourcenverschwendung und Wegwerfgesellschaft mit all ihren ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen (fatalen) Folgen.
Geschafft! An diesem Sonntag wird der Konsum allüberall mit großen roten Schleifen und goldenem Glitzerpapier wieder offenbar. Und Schenker und Beschenkte können sich fragen, welche Dinge wirklich wichtig sind. Das Schöne an Weihnachten: Dass es nicht nur ein Fest des Schenkens ist. Sondern auch der geschlossenen Geschäfte und stillen Stunden. In denen man einfach nur mit Muße dasitzen, mit anderen Menschen zusammensein und vielleicht ein geschenktes oder selbstgekauftes Buch lesen kann. Es müssen ja keine 1104 Seiten sein. Frank Trentmann hat übrigens am Ende einen Ratschlag: Verharrt man länger bei einem einzelnen Ding, konsumiert man nachhaltiger. Was nichts anderes heißt als: genießen.
Bei Wohnungsauflösungen werden viele Geschenke noch in Originalverpackung gefunden.
Eine Vielzahl an Geschenken steht zunächst als Staubfänger herum und wird dann zu gegebener Zeit entsorgt.
An die Geschenk-Verpackung, welche die Umwelt belastet, denken viele auch nicht.
Wenn man etwas Gutes tun will, gibt es viel bessere Möglichkeiten als in Geschäften Geschenke für Leute zu kaufen, die keine gekauften Geschenke nötig haben.
Beispielsweise gibt es viele (lokale) Organisation, bei denen eine Geldspende sehr viel Gutes bewirkt. Auch mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit kann man Gutes tun. Übrigens kann man auch „Zeit“ oder ein „freundliches Wort“ schenken. Das bereitet oft mehr Freude, als der ganze unnötige Plunder an Geschenken.