Es ist, ein wenig, wie im Sport. Eine Mannschaft, die sich ihrer Sache sicher ist, neigt zur Überheblichkeit. Sie unterschätzt die Konkurrenz und steht am Ende oft mit leeren Händen da. Vor allem im Fußball ist dieses Phänomen mit schöner Regelmäßigkeit zu beobachten. Wie der Fußballfan verzeiht auch der Wähler vieles – nur keine Überheblichkeit. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Selbstverständlichkeit die Piraten sich bereits auf den Einzug in den Bundestag vorbereiten. Obwohl sie in den Umfragen nur noch bei etwas mehr als sechs Prozent liegt, hatte die Partei am Wochenende 150 Mitglieder zu einer Art Trainingslager für angehende Abgeordnete eingeladen: Wie organisiere ich eine Fraktion, wie bezahle ich meine Mitarbeiter, was unterscheidet eine kleine Anfrage von einer großen? Schon Bundestag zu spielen, ohne überhaupt gewählt zu sein: So viel Chuzpe hat nicht jeder.
Auf dem schmalen Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstgefälligkeit haben die Piraten offenbar die Balance verloren. Der Reiz des Neuen, des Nonkonformistischen verflüchtigt sich allmählich, die programmatische Lücke wird nicht kleiner, der Ton in der Partei dafür immer gereizter. Ein Jahr nach dem triumphalen Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus sind die Piraten noch immer mit sich selbst beschäftigt. Berauscht vom eigenen Erfolg haben sie ihr Anderssein kultiviert, ohne dieses Anderssein tatsächlich mit Politik zu füllen.
Wie die parlamentarischen Freibeuter Deutschland aus der Schuldenkrise führen wollen, wie sie sich die Energiewende vorstellen oder ein gerechtes Steuersystem? Fehlanzeige. Dafür finden sich im Entwurf für das Grundsatzprogramm Formulierungen wie die von der Vollbeschäftigung, die „weder zeitgemäß, noch sozial erstrebenswert“ sei. In der digitalen Welt hat der Mensch demnach andere Aufgaben: Lizenzfrei Software programmieren, zum Beispiel. Dass auch ein Deutschland der Gesellschaftskünstler, der Nerds und der Selbstverwirklicher seine Renten, seine Schulen und das bedingungslose Grundeinkommen finanzieren muss, das die Partei fordert? Geschenkt. Sobald Politik konkret wird, gehen auch dem eloquentesten Piraten die Argumente aus.
Deshalb hinkt auch der Vergleich mit den Anfangsjahren der Grünen. Anders als die Piraten heute hatten die Grünen der frühen achtziger Jahre vor allem eines: Argumente. Inhalt ging bei ihnen stets vor Form – bei den Piraten ist es genau umgekehrt. Mit ihrem etwas surrealen Verständnis von Basisdemokratie, das Vorsitzende zu Grußonkeln degradiert und alle Macht dem Schwarm überträgt, kujonieren sie sich selbst.
Jede Partei braucht eine gewisse Hierarchie und ein Mindestmaß an professionellen Strukturen. Vor allem aber braucht sie Überzeugungen, ein Gerüst an Werten und ein Bild von einer Welt, für die sie sich einsetzt. Für die Piraten dagegen ist der Weg das Ziel – wohin dieser Weg führen soll, noch weiter nach links oder in eine neue, libertäre Mitte, bleibt bisher seltsam diffus, weil der Schwarm der 35 000 Mitglieder sich nicht entscheiden kann. Die Politik, die Kunst des Möglichen, mutiert so zu einer Art Happening, das vor allem auf den Effekt aus ist. Durch vier oder fünf Landtagswahlen kann diese flüchtige Aufmerksamkeit eine Partei wie die Piraten tragen. Vor der Bundestagswahl werden viele Wähler genauer hinsehen.
Die Piratenpartei bereitet ihre Direktkandidaten für ein mögliches Mandat vor was ist daran falsch ?