Schon bevor die Karlsruher Bundesverfassungsrichter am heutigen Donnerstag ihr Urteil in Sachen Ceta fällen, steht fest: Auch wenn sie die Einwände der Kläger gegen das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen abweisen, dürfen die Gegner hoffen.
Zwar könnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dann am nächsten Dienstag beim Sondertreffen mit seinen EU-Amtskollegen das „Ja“ aus Deutschland einbringen. Doch es ist nicht sicher, ob das reicht. Denn zumindest ein „Nein“ liegt noch in der Luft. In einigen Mitgliedsstaaten müssen nicht nur die nationalen, sondern auch die regionalen Parlamente zustimmen – zum Beispiel in Belgien. Dort haben die 75 Volksvertreter der französischsprachigen Wallonie bereits signalisiert, das Abkommen mit Ottawa auf jeden Fall scheitern lassen zu wollen. Am morgigen Freitag wird abgestimmt.
Der Widerstand im weitaus ökonomisch rückständigen Landesteil des kleinen Benelux-Landes sitzt tief. Stahl- und Kohle-Industrie fielen hier in den vergangenen Jahrzehnten der Globalisierung zum Opfer. Die Ankündigung des Baumaschinen-Riesen Caterpillar vor wenigen Wochen, sein Werk in Gosselies (bei Charleroi nahe Brüssel) zu schließen und dabei 1400 Arbeitsplätze zu opfern, tat ein Übriges.
Eine qualifizierte Mehrheit würde genügen
„Wir wollen hier von Globalisierung und Freihandel nichts hören“, tönte es erst in diesen Tagen vor den Werkstoren. Inzwischen bemühen sich zwar Beamte der EU-Kommission, Unterstützung aus dem Fonds zur Milderung der Globalisie-rungsfolgen in die Region zu tragen. Ob das aber die Stimmung drehen kann, erscheint höchst zweifelhaft. Doch was dann?
In Brüssel verweist man darauf, dass für eine Annahme des Ceta-Abkommens im Kreis der Wirtschaftsminister eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bürger repräsentieren) reichen würde. Die käme ohne Deutschland nicht zustande, ohne Belgien aber schon.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn am Ende sind die Unterschriften aller 28 Staats- und Regierungschefs nötig – also eine Einstimmigkeit durch die Hintertüre. Belgiens Premier Louis Michel werde sich dann womöglich eines juristischen Tricks bedienen, spekuliert man in Brüssel. Er könne das Abkommen notariell beglaubigen, aber im gleichen Atemzug erklären, dass er der Mehrheit der Minister nicht folgt.
Je nach Ausgang der Karlsruher Entscheidung und des Streits mit den Wallonen stellt sich allerdings ein sehr viel weitergehenderes Problem: Darf die Kommission künftig noch im Namen aller EU-Länder Handelsgespräche führen, wenn die Mitglieder der Union verfassungsrechtlich zur Übertragung dieser Kompetenz gar nicht berechtigt waren?
Was der Brexit und Ceta miteinander zu tun haben
Die Brisanz könnte spätestens in einigen Monaten deutlich werden, wenn die Verhandlungen um den Brexit beginnen. Denn auch dabei geht es um die Handelsbeziehungen zwischen der EU und einem befreundeten Staat. Vereinbarungen über den Zugang Londons zum europäischen Binnenmarkt sind genau genommen nichts anderes als alles, was Ceta beinhaltet. Beobachter spekulieren schon, ob die Brüsseler Kommission im Fall einer Ablehnung des Vertrages mit Kanada durch das deutsche Bundesverfassungsgericht oder die wallonischen Abgeordneten ihre Handelsabteilung nicht dichtmachen solle.
Denn neue Gespräche mit anderen Partnern seien dann praktisch ohne Perspektive.
Tatsächlich könnte Europa in den nächsten Tagen eine neue Glaubwürdigkeitskrise drohen, wenn sich nämlich herausstellt, dass die innere Verfassung einzelner oder mehrerer Mitgliedsstaaten gemeinschaftliches Handeln nicht oder nur in geringem Maße erlaubt. Die EU müsste sich wohl auf irgendeine Weise neu erfinden.