Auch nach dem fünften Urnengang in diesem Jahr, bei dem die CDU vier schwere Niederlagen einstecken musste, bleibt Angela Merkel Bundeskanzlerin wie CDU-Chefin und kämpft weiter. Abdanken oder vorzeitige Neuwahlen ausrufen, wie es ihr Vorgänger Gerhard Schröder 2005 gemacht hat, sind für sie keine Option. Warum auch? Um ihre Zukunft geht es erst bei der Bundestagswahl in einem Jahr. Bis dahin kann noch viel passieren. Und Merkel ist entschlossen, die Zeit zu nutzen.
Politisch schwer angeschlagen ist Angela Merkel dennoch. Erreicht hat sie nur das Minimalziel – Reiner Haseloff blieb CDU-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, wenn auch nur mit Hilfe einer „Kenia-Koalition“ aus CDU, SPD und Grünen. Ansonsten reihte sich Desaster an Desaster. Nur Platz zwei hinter den Grünen in Baden-Württemberg, Wahlniederlage in Rheinland-Pfalz, Demütigung in Mecklenburg-Vorpommern, wo man hinter der AfD nur auf dem dritten Platz landete. Und schließlich der Untergang in Berlin, wo die CDU nur noch 17,6 Prozent der Stimmen erhielt.
Schon die letzten Wochen waren für Angela Merkel alles andere als gemütlich, nun dürften sie noch ungemütlicher werden. Da hilft es auch nichts, dass die CDU die Gründe für das Desaster in der Hauptstadt zum einen dem chronisch schwachen Berliner Landesverband mit seinem wenig überzeugenden Spitzenkandidaten Frank Henkel und zum anderen CSU-Chef Horst Seehofer in die Schuhe schieben will. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass neben allen spezifischen landespolitischen Problemen der CDU auch die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zum Niedergang der CDU beigetragen hat, auch wenn diese längst korrigiert wurde und der von der CSU geforderte Kurswechsel bereits stattgefunden hat. Immerhin, mit dem Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben, und dem Versprechen, dass sich Zustände wie im vergangenen Jahr nicht wiederholen dürfen, kommt Merkel ihren Kritikern weit entgegen, auch wenn sie eine statische Obergrenze weiterhin ablehnt. Doch die Zeichen stehen auf Entspannung, um eine weitere Selbstzerfleischung der Union zu verhindern.
Vom Desaster der Union profitiert auch Sigmar Gabriel. Der offen ausgetragene Richtungsstreit zwischen CDU und CSU lässt die strukturellen Probleme der SPD in den Hintergrund treten. Von der Schwäche Merkels kann sie nicht profitieren, vielmehr verliert sie gleichfalls an Boden. Kein Wunder, regieren die Sozialdemokraten doch an der Seite Merkels mit und können nicht gleichzeitig Regierungs- wie Oppositionspartei sein, auch wenn Gabriel in einem kühnen Spagat genau dies versucht. Das Berliner Ergebnis gibt der SPD keinen Aufwind, im Gegenteil.
Wenn es stimmt, dass die Hauptstadt ein Labor ist, weil dort manches früher und schneller als anderswo stattfindet, steht das politische System der Republik vor gewaltigen Veränderungen. Die Zeit der großen Volksparteien geht zu Ende. Die Parlamente werden bunter, die Suche nach Mehrheiten komplizierter. Das mag man bedauern, weil ein Stück Stabilität und vertrauter Ordnung verloren geht. Aber die Politik wird damit auch wieder spannender. Die gestiegene Beteiligung bei allen fünf Wahlen in diesem Jahr ist Ausdruck eines neuen Interesses an der Politik. Warum soll in einer Zeit, in der sich alles ändert, ausgerechnet in der Politik alles so bleiben, wie es ist?