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Leitartikel: Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:58 Uhr

Erfunden haben die Bürokratie vor über 5000 Jahren die Sumerer im heutigen Irak – perfektioniert aber wurde sie im Herzen Europas. Vom Neigungswinkel eines Daches über die Zahl der Toiletten im Restaurant bis zum Paragrafendschungel unseres Steuerrechts: Was in Deutschland geregelt werden kann, wird auch geregelt. Bataillone von Beamten sorgen dafür, dass niemand durch das Raster unserer Vorschriften rutscht und alles seine Ordnung hat.

Die Herrschaft der Verwaltung allerdings hat dort ihre Grenzen, wo die Politik sie im Stich lässt. Wie soll der Staat besser zwischen Menschen mit und ohne Perspektive in Deutschland unterscheiden, wenn der Berg an unbearbeiteten Anträgen beim zuständigen Bundesamt immer höher wird statt niedriger? Wie kann es sein, dass Hunderttausende von Menschen in der Republik unterwegs sind, von denen kein Ministerium und keine Behörde weiß, wer sie sind, woher sie kommen und ob der eine oder andere nicht ähnlich finstere Absichten hat wie die Attentäter von Paris? Und wie will ein Bürgermeister oder ein Landrat die Lage meistern, wenn ihm heute niemand sagen kann, wie viele Flüchtlinge er morgen aufnehmen muss?

Neben der schieren Zahl an Menschen, die Tag für Tag kommen, ist der Eindruck der notorischen Überforderung die zweite große Konstante der Flüchtlingskrise. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Dass aber ausgerechnet das wohlorganisierte Deutschland so schnell vor der Realität kapituliert hat, bestärkt viele Bürger in ihrem diffusen Unbehagen über das, was sie da gerade erleben. Obwohl das Bundesamt für Migration schon Hunderte neuer Mitarbeiter bekommen hat, scheitert die Asylbürokratie noch immer an vermeintlichen Selbstverständlichkeiten: dem Unterscheiden zwischen echten und falschen Pässen, dem Registrieren aller Flüchtlinge, den obligatorischen Gesundheitsuntersuchungen. So rutschen immer mehr Menschen durchs Raster. Statt Ordnung herrscht Chaos.

Jetzt rächt es sich, dass Angela Merkel lange geglaubt hat, das Problem werde sich schon lösen lassen, indem auch andere EU-Länder Zigtausende von Flüchtlingen aufnehmen und die Union ihre Außengrenze besser schützt. In diesen Wochen des Wartens ist wertvolle Zeit verloren gegangen – und sie vergeht auch jetzt noch.

Wo, zum Beispiel, sind denn die neuen Einreisezentren außerhalb Bayerns, in denen Bewerber ohne jede Chance auf Asyl zügig abgefertigt und in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden? Weshalb stellt die SPD die geplanten Schnellverfahren schon wieder infrage, die ihr Parteichef Sigmar Gabriel gerade erst mit der Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer ausgehandelt hat? Warum müssen viele Flüchtlinge noch immer monatelang warten, um überhaupt einen Termin beim Amt zu bekommen, bei dem sie dann ihren Antrag stellen? In diesem Fall kostet Zeit buchstäblich Geld, das der Steuerzahler.

Langsam, aber sicher steuert Deutschland so auf den organisatorischen Kollaps zu, für den alleine die Politik verantwortlich ist, die sich im parteitaktischen Klein-Klein verliert. Im Oktober wurden in Deutschland 181 000 Flüchtlinge neu registriert – gleichzeitig aber hat das Bundesamt nur gut 31 000 Asylanträge bearbeitet. Größer kann die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit kaum sein.

 
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