So schnell kann's gehen: Im Herbst hatte WhatsApp-Gründer Jan Koum noch getönt, ein Verkauf seiner Firma stehe nicht zur Debatte. Jetzt sind er und sein Kollege Brian Acton eingeknickt – bis zu 19 Milliarden Dollar will der Online-Riese Facebook auf den Tisch legen, da fällt das Neinsagen schwer. Für eine Minifirma mit nicht einmal 60 Angestellten ist das eine ungeheure Summe. Neben den Beteiligten profitiert vor allem Sequoia Capital, die Kapitalgesellschaft, die WhatsApp als einzige unterstützt hat. Der Deal verrät auch etwas über Eigenheiten der Branche – und die Situation ihrer Kunden.
Die explodierenden Preise für Online-Anwendungen sind mit Maßstäben des normalen Marktes kaum zu verstehen. Wenige beherrschen das Spiel, es scheint kaum Wettbewerb zu existieren. Das liegt in der Natur der Sache: Anders als bei Auto oder Luftmatratze gibt es bei vernetzten Diensten nicht nur Argumente in Bezug auf Preis und Qualität – am wichtigsten ist, wie viele andere User mitmachen. Entsprechend ist der Trend zum Marktführer weit stärker als im Realwaren- markt. Konkurrenten müssen angesichts dieses Massenverhaltens revolutionär besser sein – oder etwas ganz Neues bieten, bei dem sie ihrerseits Marktführer sind.
WhatsApp funktioniert auf allen Smartphones, ist konkurrenzlos beliebt und finanziert sich bereits – ein besseres Standbein im mobilen Sektor hätte Facebook kaum finden können. Für WhatsApp bietet der Deal die Möglichkeit, noch eine Weile weiter zu wachsen, ohne sich um zusätzliche Einnahmequellen sorgen zu müssen.
Was der Verkauf für die Nutzer bedeutet, steht auf einem anderen Blatt. Seit der Gründung ihrer Firma haben sich die ehemaligen Yahoo-Mitarbeiter Brian Acton und Jan Koum in Silicon Valley gerne zu Außenseitern stilisiert; dazu gehörten hehre Thesen zum Datenschutz. Tatsächlich ist das Verständnis der Firma aber ausgesprochen hemdsärmelig: Nach der Installation müssen Nutzer mit einem Knopfdruck sämtliche Daten ihres Smartphones freigeben, sonst funktioniert der Dienst nicht. Die Übertragung durch WhatsApp ist überdies unsicher. An dem Punkt setzen Konkurrenzprodukte an, aber sie teilen das Problem aller Nachzügler: Es fehlt ihnen an Masse, um sich durchzusetzen.
Die Debatte um Datenschutz entbehrt nicht immer einer gewissen Hysterie: Mitte des vergangenen Jahrhunderts fanden die wenigsten etwas dabei, ihre Festnetznummer im Telefonbuch veröffentlicht zu sehen – entsprechend sind heute viele bereit, ihre Handynummer publik zu machen. Wer gar nichts preisgibt, kann auch gar nichts nutzen. Allerdings gab es vor dem Internet weit weniger Möglichkeiten, Informationen zum Namen vor der Nummer zu finden. Der Verkauf an Facebook ist deshalb durchaus geeignet, solche WhatsApp-Nutzer aufzuschrecken, die der Sammelwut von Facebook fremdelnd gegenüber stehen: Wie lang wird der Online-Riese der Versuchung widerstehen, die WhatsApp-Informationen in seine Kundendaten einzupflegen?
WhatsApp-Nutzer könnten angesichts der Übernahme einen jener raren Momente erleben, in denen sich ein nicht unerheblicher Teil auf die Suche nach Alternativen begibt. An der Lehre aus solchen Übernahmen ändert das nichts: Die Vorstellung, dass Daten, die man einzelnen Firmen getrennt überlässt, auch getrennt bleiben, ist nicht erst seit den NSA-Enthüllungen eine Illusion.