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BERLIN
Leitartikel: Weder Hölle noch Himmel auf Erden
Demonstration gegen die Freihandelsabkommen
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 03.03.2016 22:41 Uhr

Können sich so viele Menschen irren? Eine solch große Demonstration hat man in Berlin, wo täglich irgendjemand gegen irgendetwas protestiert, schon lange nicht mehr gesehen. Mindestens 150 000, vielleicht sogar bis zu 250 000 Menschen marschierten am Samstag durch das Regierungsviertel, um gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und mit Kanada (Ceta) mobilzumachen. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Sozialverbänden sowie Globalisierungsgegnern forderte ein sofortiges Ende der Verhandlungen.

An pathetischen Worten und markigen Forderungen herrschte weder auf den Transparenten noch auf der Abschlusskundgebung ein Mangel. Glaubt man den Initiatoren, dann stellen TTIP und Ceta eine erhebliche Gefahr für Deutschland und Europa dar, weil sie die Demokratie aushebeln, eine unkontrollierbare Paralleljustiz schaffen, die hohen europäischen Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards außer Kraft setzen und den Interessen der Wirtschaft absoluten Vorrang einräumen. Man dürfe die Zukunft nicht den Märkten überlassen, sondern müsse den Primat der Politik und somit die Demokratie retten.

Wie ernst die Politik den Protest der Bürger nimmt, zeigt das Verhalten von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der in zahlreichen Zeitungen eine ganzseitige Anzeige schaltete und schon vorab die Argumente der Kritiker widerlegte. Europa habe die Chance, die Regeln für die Globalisierung und somit die Standards für den wachsenden globalen Handel zu setzen. Und auch die Repräsentanten der Wirtschaft warben um Zustimmung.

Tiefer könnte der Graben kaum sein, eine Annäherung, gar eine gemeinsame Linie ist nicht in Sicht. Denn beide Seiten neigen zur Übertreibung und betreiben Rosinenpickerei. Den Globalisierungsgegnern ist der Freihandel per se suspekt, sie träumen von geschützten Märkten, die es im Zeitalter der offenen Grenzen nicht mehr gibt, und pflegen ihre Ressentiments gegen die Wirtschaft. Die Kritik an den USA und der Macht der US-Konzerne eint paradoxerweise antikapitalistische linke wie nationalistische rechte Kräfte, die einem Isolationismus das Wort reden.

Auf der anderen Seite werden die Freihandelsabkommen weder so viele neue Arbeitsplätze schaffen noch das Wirtschaftswachstum derart erhöhen, wie die Befürworter behaupten. Der Effekt dürfte eher verhalten ausfallen, zumal die EU und die USA schon heute wirtschaftlich eng verflochten sind. Zudem setzen der Abbau von Zöllen und der freie Warenverkehr auch jene Branchen unter Druck, die bislang noch geschützt sind wie der Agrarbereich. So wird es auch Verlierer geben.

Nötig ist eine Versachlichung der Debatte. TTIP und Ceta haben weder die Hölle noch den Himmel auf Erden zur Folge. Die Politik sollte das Unbehagen der Bürger ernst nehmen und in den Verhandlungen mit der US-Regierung berücksichtigen, den Menschen aber auch nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Die bisherige mangelnde Transparenz hat das Misstrauen geschürt. Gleichzeitig darf es keinen bedingungslosen Automatismus geben. Am Ende der Verhandlungen müssen nüchtern Vor- und Nachteile abgewogen werden, wobei die Devise gilt: Lieber kein Abkommen als ein schlechtes. Das macht den Primat der Politik aus.

 
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