Hat in den USA der Sommerschlussverkauf für Tageszeitungen begonnen? Am Samstag verkaufte der New York Times-Verlag die Traditionszeitung „The Boston Globe“ für 70 Millionen Dollar an den Börsenhändler John W. Henry. Vor 20 Jahren hatte der Verlag noch 820 Millionen Dollar für die Übernahme der Zeitung bezahlt. Und gestern legte sich der Amazon-Gründer Jeff Bezos die renommierte „Washington Post“ in den Einkaufswagen. 250 Millionen Dollar zahlte er dafür, ein Zehntel seines geschätzten Vermögens. Der durchs Internet reich gewordene Jeff Bezos übernimmt die durchs Internet verarmte „Washington Post“.
Doch auch wenn es in Deutschland derzeit große Turbulenzen im Zeitungsmarkt gibt, vergleichen lassen sich die Märkte dies- und jenseits des Atlantiks nicht. In den USA finanzieren sich Medien – inklusive der gedruckten – in hohem Maße durch Werbung. Da schmerzt die Abwanderung von Werbekunden ungleich mehr. Zugleich wurden meinungsfreudige Blogger zur echten Alternative zu den investigativen, aber wenig meinungsfreudigen Journalisten.
So gründete der ehemalige Inlandschef der „Washington Post“, John Harris, im Internet die Politikseite „Politico“. „Die alten Medienschlachtschiffe sind zu unbeweglich und selbstverliebt in die eigene Bedeutung geworden“, begründete Harris 2007 diesen Schritt. Journalisten und Blogger machten „Politico“ zur Pflichtlektüre für alle, die sich für US-Politik interessieren. Mittlerweile gibt das Portal werktäglich eine Zeitung mit seinen besten Geschichten heraus. Dort machen die „Politico“-Inhaber mittlerweile über die Hälfte ihres Umsatzes.
Auch gedruckt hat guter Journalismus wirtschaftliche Chancen. Vor allem aber hat er eine gesellschaftliche Bedeutung: Die „Washington Post“ und der britische „Guardian“ haben den PRISM-Abhörskandal aufgedeckt. Ihnen vertraute sich Edward Snowden an. Sie haben die Dokumente geprüft. Eines der beiden Traditionsblätter gehört jetzt dem Gründer von Amazon. Der weltweit größte Onlinehändler ist genau wie Google oder Facebook praktisch konkurrenzlos. Zusammen mit Apple und Microsoft entstand ein digital-industrieller Komplex, der sich ausschließlich in amerikanischer Hand befindet. Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden müssen wir das als großes Problem sehen.
Doch sollte die Investition ausgerechnet des Amazon-Gründers in die amerikanische Hauptstadtzeitung nicht in erster Linie Verschwörungstheorien beflügeln. Da kauft sich ein Unternehmer, der das Geschäft im Internet wie wohl kein Zweiter kennt, eine der bedeutendsten Zeitungen Amerikas. Bei allen Problemen, die „Washington Post“ erscheint mit 475 000 Exemplaren und sie hat einen Namen, der für investigativen Journalismus bei hoher Qualität und Seriosität steht.
Jeff Bezos ist dafür bekannt, dass er nachhaltig investiert. In der Gründungsphase warf Amazon keine Gewinne ab, alles wurde reinvestiert. So überstand das Unternehmen das Platzen der ersten Online-Blase und ging sogar gestärkt daraus hervor. Bezos hat mit Amazon und dem E-Reader Kindle die idealen Voraussetzungen, Qualitätsjournalismus gut zu vermarkten. Man darf gespannt sein, was sich aus dieser Konstellation entwickelt. Wie heißt es doch bei Amazon: „Aufgrund Ihrer Einkäufe, könnte Ihnen gefallen: . . .“