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Leitartikel Warum es trotz besetzter Stellen Lehrermangel gibt
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 26.02.2018 03:05 Uhr

In Bayern fehlen Grundschullehrer. So sehen das Lehrergewerkschaften und Oppositionsparteien. In Bayern fehlen keine Lehrer, denn schließlich sind alle Grundschullehrerstellen besetzt. So formulieren es Sprecher des Kultusministeriums und der nachgeordneten Bezirksregierungen. Welche Seite hat recht? Die einzig mögliche Antwort darauf ist: „Beide!“ Im schon traditionellen Jahresanfangsstreit um Lehrerstellen, der Anfang Februar so sicher kommt wie die Faschingsnarretei, haben beide Seiten gute Gründe für ihre Haltung.

Zu verstehen, warum beide Seiten das Jahresanfangsgezerre offenbar so dringend brauchen wie die Narren die Bütt, fällt leichter, wenn man sich die Auseinandersetzung um die angemessene Anzahl von Lehrerstellen als eine Art Tarifstreit mit anderen Mitteln vorstellt. Als Beamte dürfen Lehrer ja weder demonstrieren noch streiken; also nutzen ihre starken Verbände traditionell die Zeit vor Neueinstellungen – zum Schulhalbjahr einerseits, zum Schulende andererseits –, um dem Gegenpart Druck zu machen.

Der Gegenpart – das ist der bayerische Staat. Ihm vorzuwerfen, dass er den Lehrerbedarf an Grundschulen falsch kalkuliert habe und den aktuell hohen Bedarf an neuen Lehrkräften hätte vorhersehen müssen, wie es die Verbände gerade tun, ist natürlich Unsinn. Wahrsager hat die bayerische Staatsregierung nicht auf ihrer Besoldungsliste – und nur ein Wahrsager hätte vor sieben Jahren, als heutige Junglehrer ihr Studium aufnahmen, den Zuzug vieler Flüchtlingskinder und einen allen früheren Prognosen zum Trotz steigenden Geburtentrend in Bayern voraussagen können.

Unterrichtsversorgung ist komplett auf Kante genäht

Dass das Kultusministerium die entstandenen Lücken in der Grundschule mit Aushilfslehrern, Quereinsteigern und arbeitslosen Gymnasiallehrern gestopft hat, kann man ihm ja nicht wirklich zum Vorwurf machen. Was wäre denn angesichts des plötzlichen Mehrbedarfs die Alternative gewesen?

Wenn die Lehrerverbände und Oppositionsparteien dem Freistaat allerdings vorwerfen, dass er seine Unterrichtsversorgung grundsätzlich komplett auf Kante nähe und Flickschusterei zur Maxime seines Haushaltshandelns erkoren habe, dann stimmt das. Dass der Staat aus Gründen der Kostenkontrolle zwar die Mehrheit seiner Lehrer als unkündbare Beamte einstellt, bewusst und zunehmend aber auch auf Aushilfslehrer mit befristeten Verträgen setzt, um schnell auf Mehr- oder Minderbedarfe reagieren zu können, ist kein Geheimnis. Natürlich kalkuliert der Staat die Zahl nötiger Planstellen so knapp wie möglich. Haushaltstechnisch ist das sinnvoll. Dass allerdings die Lehrer, die die Folgen der knappen Kalkulation täglich ausbaden, dann trotz Besetzung aller Planstellen von „Lehrermangel“ reden, kann man dann eben auch verstehen.

Grundschullehrer halten dauernd individualisierten Unterricht

Tatsächlich haben sich die Anforderungen an die Lehrer in den letzten Jahren massiv erhöht. Grundschullehrer hatten früher viel homogenere und leichter zu unterrichtende Klassen als heute. Heute müssen die meisten Grundschullehrer nicht nur „Durchschnittskinder“ bilden, sondern zusätzlich Inklusionskinder, verhaltensauffällige Kinder und natürlich auch Flüchtlingskinder. Wer diese Kinder in ihrer Heterogenität ernst nimmt, bereitet den Unterricht nicht einfach, sondern mehrfach vor – abgestimmt auf die Zielgruppe. Und hält außerdem praktisch dauerhaft individualisierten Unterricht. Man kann sich vorstellen, wie viel Kraft und Zeit das bindet – genauso wie die vielen Zusatzbesprechungen mit Eltern oder Betreuern.

In der Zahl der Planstellen schlägt sich die viel höhere Belastung der Lehrer nicht adäquat nieder. Und das muss sich ändern – zum Wohl der Lehrer und zum Wohl aller Kinder. Bayern wird mehr Geld für Bildung ausgeben müssen. Planbar ist das – ab jetzt.

 
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