Eine Regel lautet: „Versuchen Sie nicht, die Königin oder den Herzog von Edinburgh anzufassen.“ Dieser und weitere Hinweise sollen auf einem Leitfaden stehen, den jene Deutsche von der britischen Botschaft in Berlin erhalten haben, die diese Woche die Gartenparty zu Ehren der Queen besuchen dürfen. Im Rahmen ihrer Deutschlandreise vom 23. bis 26. Juni hat der Botschafter des Königreichs auf seinen Hauptstadtrasen geladen, und da dem gemeinen Deutschen die royale Etikette eher unbekannt sein dürfte, gab es eine Lehrstunde im Protokoll. Eine Verneigung vor Königin Elizabeth II. beispielsweise sei zwar nicht zwingend, gern gesehen ist sie natürlich.
Die Aufregung, der Rummel, die Euphorie in der Bundesrepublik ob der Monarchin platzt vor Superlativen und regt zum Staunen an. Woher kommt diese Faszination für die Royals und damit für ein hierzulande längst überwundenes System, das auf den genetischen Zufall setzt und auf Erblichkeit gründet?
In Deutschland und Österreich wurde der Adel juristisch mit dem Ende der Monarchien 1918 abgeschafft. In Großbritannien durchläuft die Monarchie herrliche Zeiten, die Regentin ist so beliebt wie keine andere öffentliche Person. Traditionen werden auf der Insel mit Leidenschaft, Standesdünkel und Hutbegeisterung zelebriert, wie gerade erst das Pferderennen in Ascot veranschaulicht hat.
Wenn sich das Staatsoberhaupt in seiner Kutsche, begleitet von mit Fellmützen dekorierten Soldaten und einer marschierenden Kapelle, durch Londons Straßen winkt, wähnt man sich weniger in einem demokratisch geprägten Zeitalter als in einem vormodernen Jahrhundert. Mit antiquierten Gepflogenheiten feiern die Briten ihre Geschichte. Einige trauern noch immer dem einstigen Empire nach, der Kolonialismus mit all seinen Schattenseiten wird gerne verdrängt.
Irrational blicken nicht nur viele Briten auf dieses herrschaftliche Theater voller Prunk, Pracht und Pomp. Eine perfekte Welt? Kaum. Die Gesellschaft auf der Insel kämpft in ihrer Neigung zum Konservativen mit tiefsitzenden Klassenunterschieden, die überparteiliche Monarchin muss als Verbindungselement zwischen Oberschicht und Arbeiterklasse herhalten. Denn die Ausstrahlung, vor allem jene der 89-jährigen Chefin der Firma Windsor, ist wirkungsmächtig. Die Queen sitzt seit mehr als 63 Jahren unaufgeregt auf dem Thron und steht in den Augen ihrer Untertanen als Symbol für Tugenden wie Pflichtbewusstsein und Hingabe, Disziplin und Standhaftigkeit. Sie ist das moralische Vorbild.
Und der vermeintliche Zauber der Blaublütigen schwappt in alle Welt, die nach Bildern und Geschichten giert – als ob wir seit Jahrzehnten eine Soap-Opera in Echtzeit schauen mit allen Inhalten, die eine Fortsetzung erfordern: Skandale, Affären, Reichtum und schöne Menschen, eine fast fehlerfreie Queen, dazu eine Terminologie wie im Märchen. Die Politik erstickt derweil im Grau und leidet unter fehlenden Identifikationsfiguren und Glaubwürdigkeitsproblemen. Wie könnte es anders sein?
Die Faszination für die Royals passt offenbar in unsere Zeit, in der das Bedürfnis, mittels Hochglanzmagazine in die Welt der funkelnden Träumereien zu flüchten, ungestillt ist.