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BRÜSSEL
Leitartikel: Warum die Chinesen viele Jobs in Europa bedrohen
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:53 Uhr

China weiß, was es an der deutschen Kanzlerin hat. Zwar war Peking schon vor dem Besuch Angela Merkels klar, dass auch sie keinen Blanko-Scheck für den Ritterschlag zur Marktwirtschaft ausstellen würde. Aber ein gutes Wort erwartet man im Reich der Mitte schon von der deutschen Regierungschefin, wenn es um die eigene Aufwertung geht. Dabei ist das Land von einer Marktwirtschaft ungefähr so weit entfernt wie Syrien von einer Friedenslösung. Der Staat lenkt und dirigiert nach wie vor Unternehmen und Betriebe. Wer das Glück hat, in einem strategisch wichtigen Bereich tätig zu sein, wird auch unabhängig von seinem ökonomischen Erfolg aus der Staatskasse am Leben gehalten.

Der großen Zahl der Hindernisse, die man ausländischen Investoren in den Weg legt, entspricht die latente und offene Bevorzugung der eigenen Industrie. Während chinesische Geldgeber durchaus in ausländische Banken einsteigen können, ja sogar sollen, erlauben die derzeit gültigen Gesetze im umgekehrten Fall nur eine minimale Beteiligung – auf keinen Fall aber die Mehrheit. Recht und Rechtsprechung sind nicht unabhängig von Partei und Staat. Das sind nur einige Punkte, die das Einlösen des vor 15 Jahren gegebenen Versprechens, China zur Marktwirtschaft zu adeln, eigentlich unmöglich machen. Doch kann und darf die EU es sich leisten, Peking dermaßen vor den Kopf zu stoßen?

Die Bundeskanzlerin brauchte sich bei ihrem Besuch nicht hinter der EU zu verstecken. Dort weiß man, was den Europäern Kopfzerbrechen bereitet. Sobald das wertvolle Prädikat „Marktwirtschaft“ – ob freiwillig oder nicht – verliehen wurde, verbieten sich laut Welthandelsorganisation Schutzzölle auf Produkte zu Dumpingpreisen, die heute bei Schuhen, Solarpanels oder T-Shirts bis an die 20-Prozent-Marke reichen können. Dass die chinesischen Stahlkonzerne heute doppelt so viel produzieren wie die anderen vier größten Hersteller zusammen, zeigt, worum es für Europa am Ende wirklich geht: Jobs. Und die Gefahr, dass mit einer Schwemme von konkurrenzlos preiswerten Waren viele Hunderttausend Arbeitsplätze vernichtet werden.

In Brüssel rüstet man sich, erwägt längst neue, andere Sanktionsinstrumente, um Chinas Produkte künstlich auf den Marktpreis verteuern zu können. Das ist eine schlechte Lösung, aber solange es die gute – eine wirklich marktwirtschaftliche Bekehrung Chinas – nicht gibt, könnte es die naheliegende sein. Doch damit erreicht man nicht, was Ziel aller Maßnahmen sein müsste: ökonomische und am Ende vielleicht sogar demokratische Reformen.

Die schienen viel eher möglich, wenn man sich auf neue Wege traut. So haben auch deutsche Konzerne durchaus gute Erfahrungen mit Kooperationen und Joint-Ventures auf Betriebsebene gemacht, weil sie damit auch eine Lektion in marktwirtschaftlicher Unternehmensstruktur erteilen konnten.

Europa braucht zur Sicherung seiner ökonomischen Struktur vor Billigpreis-Unterwanderung aber nicht nur ein paar Modelle, sondern einen unabhängigen Aufpasser wie die WTO. Längst raten Experten dazu, die Welthandelsorganisation noch mehr zu stärken, ihre Gerichtsbarkeit aufzuwerten, um ihre globale und unabhängige Wächterfunktion zu stärken – und um zu verhindern, dass sich zwei Partner miteinander so verkrachen, dass am Ende ein Handelskrieg unausweichlich scheint.

 
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