Nach der Wahlschlappe der islamisch-konservativen AKP im Juni spekulierten manche bereits über das politische Ende des türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Stattdessen schaffte er bei der Wahl am Sonntag ein triumphales Comeback. Die AKP erreichte das zweitbeste Resultat seit Gründung der Partei durch Erdogan vor 14 Jahren.
Erdogan ist nun mehr denn je die dominierende Figur auf der politischen Bühne der Türkei. Dass seine AKP die erhoffte Dreifünftelmehrheit verfehlte, mit der sie eine Verfassungsänderung und die Einführung eines Präsidialsystems auf den Weg bringen könnte, ist für Erdogan zu verschmerzen. Er hat ohnehin seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt de facto schon viele Kompetenzen an sich gezogen, die ihm laut Verfassung eigentlich gar nicht zustehen. Jetzt dürfte er versuchen, seinen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte noch auszuweiten. Widerspruch hat er dabei nicht zu erwarten. Premier Ahmet Davutoglu und die Führung der AKP sind ihm nach diesem Wahlsieg noch ergebener als je zuvor.
Erdogan scheint den Wahlsieg der AKP auch als Freibrief für seinen harten Kurs im Kurdenkonflikt zu interpretieren. So ist es wohl zu verstehen, wenn der Präsident jetzt erklärt, das Votum sei eine „starke Antwort“ auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Seit Erdogan den von ihm selbst eingeleiteten Friedensprozess im Frühjahr für beendet erklärte, eskaliert der Konflikt. Die Türkei steckt wieder in einem Krieg, von dem sie glaubte, er liege hinter ihr. Ein Hoffnungsschimmer ist, dass wenigstens die pro-kurdische Linkspartei HDP erneut den Sprung ins Parlament schaffte. Die Kurden haben damit eine politische Stimme in der neuen Nationalversammlung. Das berechtigt zumindest zu der Hoffnung, dass sich gemäßigte Kräfte Gehör verschaffen. Wenn die zurückliegenden drei Jahrzehnte, in denen über 40 000 Menschen ihr Leben im Kurdenkonflikt verloren haben, eines gelehrt haben, dann dies: Mit militärischen Mitteln lässt sich das Problem nicht lösen.
Erdogan mag triumphieren, weil seine Strategie der Polarisierung aufgegangen ist. Vor allem die Eskalation des Kurdenkonflikts hat der AKP Zulauf aus dem nationalistischen Lager beschert. Aber die Türkei braucht jetzt nichts so dringend wie inneren Frieden, politischen Konsens und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn das Land steht vor großen Herausforderungen. Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit steigt. Durch die Bürgerkriege im Irak, in Syrien und Libyen hat die Türkei wichtige Absatzmärkte verloren. Viele ausländische Investoren und Anleger zogen sich in den vergangenen Monaten vom Bosporus zurück. Die Strukturprobleme des Landes werden immer unübersehbarer: ein verkrustetes Bildungssystem, wenig Innovationskraft der Unternehmen, Wettbewerbsschranken und hohe Abhängigkeit von Risikokapital des Auslandes.
Ebenso groß sind die außenpolitischen Probleme. Mit seiner Kampagne zum Sturz des Assad-Regimes hat Erdogan die Türkei zur Kriegspartei im Syrienkonflikt gemacht. Die AKP hat zwar eine bequeme Mehrheit, um allein zu regieren. Präsident Erdogan und Premier Davutoglu sollten dennoch auf die Opposition zugehen. Erdogan hat im Wahlkampf tiefe Gräben aufgerissen, nicht zuletzt mit seinen Versuchen, kritische Medien zum Schweigen zu bringen. Jetzt wäre es an der Zeit, Brücken zu bauen. Aber gerade das ist Erdogan bisher schwergefallen.