Eine Koalition ist ein Pakt auf Zeit – und je näher eine Wahl rückt, umso bewusster wird das den Koalitionären auch. Auf der letzten Etappe einer Legislatur denkt auch die kompromissfähigste Regierungspartei nicht mehr an das gemeinsame Ganze, sondern vor allem an sich selbst. Nur sehen soll der Wähler das natürlich nicht. Um den faktischen Stillstand der Gesetzgebung in ein möglichst mildes Licht zu hüllen, überzieht Angela Merkel das politische Berlin gerade mit einer ganzen Serie von Gipfeltreffen.
Dem Integrationsgipfel gestern im Kanzleramt sind, unter anderem, ein Mobilitätsgipfel, ein Demografiegipfel, ein Frauen- und ein Energiegipfel vorausgegangen. Anfang Juli treffen sich die Spitzen von Wirtschaft und Gewerkschaften im Gästehaus der Regierung wieder zum Zukunftsgipfel, und auch einen Job-Gipfel hat die Kanzlerin noch in Arbeit: Sie will die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa zum Thema einer großen Konferenz in Berlin machen. Alle diese Runden sind bedeutungsschwanger inszeniert, hochkarätig besetzt und mit viel staatstragender Rhetorik garniert – ihr politischer Nutzwert aber steht in einem krassen Missverhältnis zu dem Aufwand, der um die Gipfel herum betrieben wird.
Ein Demografiegipfel ersetzt keine Renten- und keine Pflegereform, ein Integrationsgipfel holt noch keinen türkischen Integrationsverweigerer aus seiner Neuköllner Parallelgesellschaft, und auch der nächste Zukunftsgipfel in der Abgeschiedenheit von Schloss Meseberg wird vermutlich nicht mehr sein als eine unverbindliche Plauderstunde.
Für sich genommen mag jedes dieser Treffen sogar seine Berechtigung haben, schließlich soll die Politik nicht nur im eigenen Saft schmoren, sondern sich hinauswagen ins Leben, sich den Menschen stellen, sich mit Experten beraten. Die gegenwärtige Inflation von Gipfeln allerdings suggeriert eine Entschlossenheit, die Union und FDP in Wahrheit selten hatten. Wenige Monate vor der Wahl zeigen die vielen Treffen zwar eine Kanzlerin, die sich den Problemen und den Herausforderungen der Zeit stellt. Sie übertünchen zugleich aber auch das graue Bild ihrer Koalition mit einer Deckfarbe aus Unverbindlichkeit.
Die wenigsten Ideen, die in solchen Runden geboren werden, finden sich später in Parteiprogrammen, in Koalitionsverträgen oder gar in Gesetzen wieder. Für den Demografiegipfel, zum Beispiel, haben 200 Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Herbst vergangenen Jahres ein 80 Seiten dickes Konzept geschrieben. Im politischen Alltag allerdings sind Union und FDP schon an vermeintlich Selbstverständlichem wie der Gleichbehandlung von älteren und jüngeren Müttern bei der Rente oder einer vernünftigen Absicherung des Pflegerisikos gescheitert.
Natürlich haben auch andere Kanzler ihre Job- oder Autogipfel organisieren lassen. Unter Angela Merkel allerdings ist die Ausnahme zur Regel geworden und der Expertengipfel zu einem telegenen Ersatzparlament. Mit der unprätentiösen Art der Bundeskanzlerin verträgt sich diese instrumentalisierte Effekthascherei eigentlich nicht. Dass sie trotzdem von Gipfel zu Gipfel eilt, ist vermutlich der Situation geschuldet: So kurz vor der Wahl soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als habe Schwarz-Gelb das Regieren bereits eingestellt. Tatsächlich jedoch ist genau das der Fall.