Die Analyse ist eindeutig und beschönigt nichts. Afghanistan sei noch immer von einem dauerhaften Frieden weit entfernt, heißt es im jüngsten Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Trotz der gewaltigen Anstrengungen der internationalen Schutztruppe bei der Ausbildung einer nationalen afghanischen Polizei und Armee seien die „regierungsfeindlichen Kräfte weiterhin handlungsfähig“. Ein großes Problem stellten die sogenannten „Innentäter“ dar, afghanische Polizisten oder Soldaten, die in Diensten der Taliban Anschläge verüben. Alleine in diesem Jahr seien bei derartigen Selbstmordkommandos 42 ausländische Soldaten ums Leben gekommen.
Doch die Konsequenzen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maiziere aus dieser düsteren und zu wenig Hoffnung Anlass gebenden Analyse ziehen, scheinen dem Befund geradezu zuwider zu laufen. Um das geschundene Land am Hindukusch auf seinem Weg zu unterstützen, halten sie die Zahl der deutschen Soldaten nicht stabil oder stocken das Kontingent sogar noch auf, sondern verkleinern es von derzeit 4760 auf 3300 Soldatinnen und Soldaten bis Anfang 2014.
Vor allem Kampftruppen, die immer wieder in gefährliche Auseinandersetzungen mit den Taliban verwickelt werden, sollen das Land verlassen, Ausbilder und Trainer, die überwiegend hinter dem Schutz hoher Mauern agieren, hingegen weiter bleiben. Pünktlich zum Auftakt des Wahljahres will die Koalition die freudige Botschaft „Wir holen unsere Jungs heim“ unter das Volk bringen, das zunehmend am Sinn des Einsatzes zweifelt.
Dabei wissen Außen- und Verteidigungsminister nur allzu gut, dass sie auf einem äußerst schmalen Grat wandeln. Die Sicherheitslage des Landes rechtfertigt keinen Abzug, im Gegenteil. Schon jetzt ist zu erkennen, dass in Gebieten, die von den internationalen Truppen als Taliban-frei den afghanischen Sicherheitskräften übergeben wurden, die radikal-islamistischen Milizionäre zurückkehren und erneut ihr eigenes Volk drangsalieren und unterdrücken. In der Provinz Badachschan im Nordosten Afghanistans zum Beispiel gewinnen die Taliban ungehindert an Einfluss, seitdem die Bundeswehr ihr dortiges Feldlager geräumt und ihren Abzug mit der verbesserten Sicherheitslage begründet hat. Das in vielen Jahren mühsam und unter großem Einsatz Erreichte löst sich binnen weniger Wochen auf.
Die Taliban sind weder besiegt noch beseitigt, sie warten nur darauf, nach dem Abzug der internationalen Schutztruppe wieder die Macht zu übernehmen. Das ist auch der Bundesregierung bewusst. Da ein allzu schneller Abzug die Arbeit von elf Jahren zunichte machen würde, versprechen de Maiziere und Westerwelle, die Afghanen nicht allein zu lassen. Dem 2014 auslaufenden ISAF-Mandat wird daher ein neues Mandat folgen, das sich zwar auf die Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte beschränken soll, aber nach ersten Überlegungen einen Umfang von bis zu 15 000 Soldaten haben könnte. Für die Bundeswehr als drittstärkste Truppenstellernation bedeutet dies, dass möglicherweise noch über Jahre bis zu 2000 Mann am Hindukusch stationiert sein werden. So ist die jetzt beginnende Verkleinerung der Mandatsstärke ein politisches Symbol, um die Heimat zu besänftigen und die Lasten ein wenig zu reduzieren.