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Leitartikel: Und so etwas nennt sich Freundschaft
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:21 Uhr

Die Bundesbürger haben klare Vorstellungen davon, was eine Freundschaft auszeichnet. Sie erwarten laut einer Meinungsumfrage von einem Freund jederzeit verlässliche Hilfe (88 Prozent), gegenseitige Unterstützung (79 Prozent), einen offenen Umgang miteinander (77 Prozent) und „dass man über alles reden kann“ (73 Prozent). Gemessen an diesen Kriterien kann man derzeit die Bezeichnung Freundschaft mit Blick auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen getrost streichen. Denn nichts davon trifft mehr zu. Der NSA-Spionageskandal hat das Verhältnis zum einstigen Beschützer und Förderer von jenseits des Großen Teiches schwer beschädigt.

Verbündete ausspähen – „das geht gar nicht!“, wie Bundeskanzlerin Merkel ohne diplomatisch-sprachliche Verrenkung kritisierte. Ein solches Vorgehen ist respektlos, zerstört Vertrauen und hat mit Freundschaft nichts zu tun.

Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma. Einerseits kann sie nicht tatenlos zusehen, wie ihr die Supermacht USA auf der Nase herumtanzt. Andererseits hat sie aus unterschiedlichen Gründen kein Interesse daran, dass in der sich zuspitzenden Auseinandersetzung immer mehr Porzellan zu Bruch geht.

Ein erstes Zeichen dafür, dass bei den in jüngster Zeit so oft vorgeführten Partnern in Berlin das Reservoir an Geduld aufgebraucht ist, hat das Kanzleramt am vergangenen Donnerstag gesetzt: Es forderte den obersten Geheimdienstler der Amerikaner in Deutschland auf, das Land zu verlassen. Das ist freilich nicht mehr als eine homöopathische Reaktion, die den Adressaten zwar verärgerte, aber kaum beeindruckte. Von ähnlicher Qualität ist die Empfehlung, die deutschen Geheimdienste sollten mit ihren US-Kollegen künftig nur noch sicherheitsrelevante Informationen austauschen.

Doch was ist die richtige Antwort auf das inakzeptable Vorgehen der USA? Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken, die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) auszusetzen. Und zwar so lange, bis die Vereinigten Staaten bereit sind, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen mit Deutschland zu unterzeichnen. Bislang haben die USA eine solche Vereinbarung lediglich mit Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland. Für eine Aufnahme in diesen exklusiven Club hat jetzt erstmals ein wichtiger Abgeordneter des amerikanischen Kongresses plädiert. Der Republikaner Jim Sensenbrenner sagte dem „Spiegel“, der Schaden, den die Geheimdienste angerichtet hätten, sei unermesslich. Jetzt müsse „etwas getan werden, um das zu reparieren“.

Ohne ein derartiges Entgegenkommen der Amerikaner dürfte es ohnehin kaum möglich sein, das umstrittene Abkommen unter Dach und Fach zu bekommen. Denn die Skepsis in der Bevölkerung ist groß – nicht nur in der Sache, sondern vor allem gegenüber dem Verhandlungspartner. Solange die USA weiter hierzulande schnüffeln und spitzeln, sind vertrauensvolle Vertragsgespräche jedenfalls unmöglich.

Nicht nur das: Die Gefahr ist groß, dass sich die transatlantische Auseinandersetzung zu einer ernsthaften Vertrauenskrise der Bürger gegenüber dem Staat auswächst. Denn es scheint, dass die Regierungen ihre Kontrolle über die Geheimdienste weitgehend verloren haben. Das wäre weit schlimmer als eine brüchige Freundschaft.

 
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