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Leitartikel: Umdenken beim Wegsperren
Von Manfred Schweidler manfred.schweidler@mainpost.de
 |  aktualisiert: 05.09.2013 19:22 Uhr

Nun hat es Gustl Mollath von höchster juristischer Instanz: Das Bundesverfassungsgericht gab seiner Beschwerde recht. Es attestiert jenen Richtern in Bayreuth und Bamberg Schlamperei, die 2011 seine zwangsweise Unterbringung in der Psychiatrie verlängert hatten. Die bayerische Justiz habe es sich allzu einfach gemacht: „Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen“, schreiben jetzt die Karlsruher Verfassungshüter – eine schallende Ohrfeige für Mollaths Richter.

Direkte Folgen hat die Entscheidung zunächst nicht: Bayerns berühmtester Zwangs-Eingewiesener ist ja schon entlassen. Doch könnte die Entlassung von Bayerns Justizministerin Beate Merk bald folgen. Der Ansehensverlust ist zu groß, um ihr große Chancen für ein Verbleiben im Amt einzuräumen.

Doch mit einem Personalwechsel ist nicht viel gewonnen. Der Fall Mollath hat Fehler im System aufgedeckt, die behoben werden müssen, um Unrecht möglichst klein zu halten. Und natürlich fragt sich die Öffentlichkeit: Wie viele Mollaths gibt es, die in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht sind – und wie viele zu Unrecht?

Die aktuelle Debatte ist gut und richtig, aber nicht frei von Heuchelei. Es ist noch nicht lange her, da konnte eine aufgeheizte Öffentlichkeit gar nicht schnell und oft genug die zwangsweise, möglichst lebenslange Unterbringung in der Psychiatrie fordern. Da machte uns jede missbrauchte oder ermordete Peggy, Yvonne, Lena, Hannah oder Natascha Kampusch wütend und ratlos. Wie sollten wir uns vor widerlichen Tätern wie Jürgen Bartsch oder Magnus Gäfgen schützen? Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder forderte 2001 im Fall der ermordeten achtjährigen Julia: Solche Täter müsse man wegsperren, für immer. Das Strafrecht, bei dem lebenslänglich nie lebenslänglich bedeutet, schien den Durst nach Rache nicht stillen zu können. Also kam stets schnell der Ruf, die Täter hilfsweise in die Psychiatrie zu sperren. Da waren sie uns aus den Augen, dann glaubten wir uns geschützt.

Gibt es solche Fälle plötzlich nicht mehr, weil wir jetzt Gustl Mollath haben? Doch, aber die öffentliche Wahrnehmung hat sich geändert. Ohne wache Öffentlichkeit wäre Mollath heute nicht frei. Kurios kam uns dank dubioser Erfahrungen in der Finanzkrise aber vor allem der Umstand vor, dass die Justiz ihn für irre erklärte, weil er dubiose Geschäfte einer Bank enthüllen wollte. Wenn das als Grund ausreichen würde, müssten viel mehr Personen in der Psychiatrie sitzen. Beweis gefällig? In Würzburg schlummern Ermittlungsakten gegen den verurteilten Betrüger Wolfgang G. aus den Jahren um 1995, die zeigen: Die Justiz hatte keinen Grund, Mollath für solche Schilderungen für irre zu halten.

Diesen Akten wäre zu entnehmen, dass sich in jener Zeit beispielsweise in Würzburg gerne Mitarbeiter der von Mollath genannten Bank abends in einer Pizzeria mit Geschäftsleuten trafen, die in der Plastiktüte sechsstellige Beträge an Schwarzgeld mitbrachten – das von der Bank dann diskret in die Schweiz gebracht wurde. Irre, oder? Hoffentlich bringt das jetzt nicht auch unterfränkische Kripo-Beamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte in die bayerische Psychiatrie – und den Schreiber dieses Kommentars.

 
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