Es ist ein schmerzhafter Sieg, den Theresa May errungen hat. Zwar überstand sie das Misstrauensvotum, mit dem die Rebellen in der konservativen Fraktion die Premierministerin stürzen wollten. Doch ein Drittel ihrer konservativen Abgeordneten entzogen der Regierungschefin das Vertrauen. Wie will sie so den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal im Parlament durchsetzen? Überhaupt: Wie will sie in naher Zukunft regieren? May ist so gut wie handlungsunfähig – eine „lahme Ente“. Dass die Regierungschefin freiwillig geht, scheint ausgeschlossen. Stur trotzt die Konservative seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen auf ihre Position, Politik und Person.
Dabei hat sie sich etliche Fehler geleistet und damit ihre Fraktion gegen sich aufgebracht – zuletzt, als sie das Parlamentsvotum über das Austrittsabkommen aus Sorge vor einer krachenden Niederlage kurzerhand absagte. Große Teile der Partei schäumten vor Wut. Das Problem: May lieferte keinen Plan B, brach stattdessen zu einer Charme-Offensive Richtung Kontinent auf, wo sie dieselbe Botschaft zu hören bekam, die den Briten seit Wochen vermittelt wird: Die EU wird das Vertragspaket nicht noch einmal aufschnüren. Auf der Insel ignoriert man solche Aussagen hartnäckig. Viele Brexit-Cheerleader meinen, sie hätten auch nach der Scheidung eine Sonderbehandlung in Europa verdient.
Karriereambitionen standen über dem Wohl des Landes
Dass die rebellischen Konservativen angesichts der Herausforderung Brexit und im Moment der nationalen Krise eine Misstrauensabstimmung auslösten, ist unverantwortlich, egoistisch, arrogant dazu. Einmal mehr standen Karriereambitionen über dem Wohlergehen des Landes. Der Großteil der Bevölkerung blickt verständlicherweise angewidert auf die innerparteiliche Zerfleischung der Tories. Die gehen so schonungslos wie keine andere Partei mit ihren Vorsitzenden um, wenn diese nicht in ihrem Sinne liefern. Und von May hatten die Hardliner nichts weniger erwartet als einen EU-Austritt ganz in ihrem von Ideologien verblendeten Sinne.
Sie haben es sich im Lala-Land gemütlich gemacht, in dem sie vom 19. Jahrhundert träumen. Kompromisse? No way. Vielmehr drückten sich Brexiteers wie Ex-Außenminister Boris Johnson oder Ex-Brexit-Minister David Davis davor, eine realistische Lösung für die verfahrene Situation anzubieten oder am Verhandlungstisch mitzugestalten. Nun musste May den Parteikollegen im Vorfeld des Votums versprechen, in ferner Zukunft zu gehen, um für heute bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr an der Parteispitze stehen. Dass diese erst planmäßig 2022 stattfinden werden, ist utopisch.
Die Briten haben ihre Meinung nicht geändert
Es könnte ausgerechnet eine Neuwahl sein, die den Stillstand des gelähmten Parlaments aufbricht – oder ein zweites Referendum. Die EU-Freunde schöpfen bereits Hoffnung. Dabei ist keineswegs klar, dass die Bevölkerung sich dann für den Verbleib in der Gemeinschaft aussprechen würde. Die Menschen haben ihre Meinung kaum geändert.
Was derzeit auf der Insel passiert, ist ein kollektives Scheitern der politischen Klasse. Theresa May hat ihren Anteil daran. Unentschlossen und ungelenk schlingerte sie durch ihre Amtszeit. Die Premierministerin verpasste es nicht nur, ihre zerstrittene Partei sowie die tief gespaltene Bevölkerung zu einen. Ihre Obsession mit dem Thema Einwanderung hat May erst jene roten Linien ziehen lassen, die ihr nun in Brüssel keinerlei Verhandlungsspielraum lassen. Als die Regierungschefin dann Verbündete brauchte, um das Austrittsabkommen zu Hause durchzusetzen, rächten sich ihre ständigen Alleingänge.
May mag das Misstrauensvotum gewonnen haben. Die Situation hat sich jedoch weder verändert noch entspannt. Bis spätestens zum 21. Januar muss das Parlament über den Brexit-Deal abstimmen. Nach heutigem Stand benötigt May für einen Sieg ein politisches Wunder.