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Leitartikel: Symbol für einen Menschheitstraum
Von Carolin Kreil carolin.kreil@mainpost.de
 |  aktualisiert: 10.12.2013 19:23 Uhr

Manchmal schreibt das Leben Drehbücher, die an Dramatik kaum zu überbieten sind: Am Tag, an dem die Welt des früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela gedenkt, wird in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Der alte Mann mit dem freundlichen Gesichtsausdruck gilt als Prototyp eines würdigen Preisträgers. Gerade weil er die Auszeichnung 1993 zusammen mit seinem früheren Todfeind, dem Chef der Apartheid-Regierung, Willem de Klerk, erhielt.

Mandela steht in einer langen Reihe würdiger Persönlichkeiten in der 112-jährigen Geschichte des Preises. Henri Dunant gründete Mitte des 19. Jahrhunderts die Vorläuferorganisation des Internationalen Roten Kreuzes und erhielt den ersten Nobelpreis 1901. Vorbilder wie Mutter Teresa 1979, der Arzt Albert Schweitzer (1952), der Dalai Lama (1989) sind nur einige. Als Alfred Nobel den Preis stiftete, hatte er eine Person im Sinn: Bertha von Suttner („Die Waffen nieder!“), eine Visionärin und Aktivistin für den Frieden. Den Preis erhielt sie dennoch erst 1905.

Ein hoher Maßstab und dennoch findet das Osloer Nobelpreiskomitee alle Jahre wieder Menschen, Gruppen und Institutionen, 2013 ist es die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW), die gegenwärtig die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen überwacht. Eine berechtigte Ehrung also.

Immer wieder hat das Nobelkomitee aktuelle Anlässe aufgegriffen, um symbolische Unterstützung zu leisten, selbst wenn das Ziel noch nicht erreicht ist. So erhielt Bundeskanzler Willy Brandt 1971 den Preis für seine Ostpolitik, die erst knapp 20 Jahre später in den Mauerfall führte. Oder Lech Walesa, der 1983 den Preis erhielt, als der Kampf um die demokratische Zukunft Polens im Gange war. Oder der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow 1990, der die Auflösung des Ostblocks förderte.

Doch immer, wenn Oslo aktive Politiker oder Institutionen auswählt, kann es sehr rasch, sehr problematisch werden. Natürlich soll der Preis ermutigen, neue Wege in alten Konflikten zu gehen. Doch die Entwicklung kann auch anders laufen. Die UN-Blauhelmtruppen, die 1988 ausgezeichnet wurden, erscheinen heute in einem anderen Licht. Damals noch in ihrer Rolle als Friedensstifter, tragen sie heute nach dem Massaker von Srebrenica und in Ruanda dunkle Flecken auf der weißen UN-Weste.

Soll man wie 1994 einen Terroristen wie Palästinenserchef Jassir Arafat und einen brutalen Militär im Kampf gegen Palästinenser wie den israelischen Premier Jitzchak Rabin auszeichnen? Was ist mit Südkoreas Präsident Kim Dae Jung (2000), der ins verfeindete Nordkorea reiste, sich diesen Schritt aber offenbar erkaufte? Noch in schlechter Erinnerung sind die Vorschusslorbeeren, die 2009 US-Präsident Barack Obama erhielt. Kann ein aktiver US-Präsident überhaupt ein Vorkämpfer für den Frieden sein? Was soll man von der Auszeichnung der EU halten? 2012 für 60 Jahre Wertegemeinschaft und ein friedliches Europa geehrt, steht sie 2013 für ihre unmenschliche Flüchtlingspolitik zu Recht am Pranger.

Der Friedensnobelpreis bleibt eine Gratwanderung. Und dennoch ist er wichtiger denn je. Weil er den Menschheitstraum von Frieden wachhält und weil er ein Schlaglicht auf Menschen wirft, die dafür über sich hinauswachsen. So wie Nelson Mandela.

 
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