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Leitartikel: Strafen für EU-Defizitsünder nötig
Von Stefan Stahl red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 08.08.2016 03:29 Uhr

Europa schafft es immer wieder, Kritikern des Euro frei Haus bestes Argumentationsfutter zu liefern. Der französische EU-Währungskommissar Pierre Moscovici ist hier ein besonderer Profi. Obwohl ökonomisch vieles dafür sprach, den beiden chronischen Defizitsündern Spanien und Portugal eine zumindest symbolische Strafe aufzubrummen, hatte die EU-Kommission Angst vor der vorübergehend auszumachenden eigenen Courage bekommen.

Wieder haben die Verantwortlichen in Brüssel Ländern, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ernst nehmen, ihren Schulden-Schlendrian durchgehen lassen. Sie entschieden sich, wie das „Handelsblatt“ treffend zynisch schreibt, für eine „Null-Euro-Strafe“. Dabei wäre es zulässig gewesen, dass Spanien mit rund zwei Milliarden und Portugal mit etwa 200 Millionen Euro zur Kasse gebeten werden. Mos-covici begründete die Milde der Kommission mit dem absurden Hinweis, dass Strafen „die Vergangenheit nicht korrigieren können“. Was für ein argumentatives Armutszeugnis: Strafen taugen nie dazu, zurückliegendes Unrecht ungeschehen zu machen. Dennoch müssen sie auch deshalb verhängt werden, um in der Zukunft abschreckende Wirkung auf mögliche Regelverletzer zu entfalten.

Der Stabilitätspakt gleicht, wie das mal ein EU-Diplomat gesagt hat, einem Holzhaus, das von Termiten zerfressen wird. An dem Zerfallsprozess haben sich leider die beiden Euro-Kernstaaten Deutschland und Frankreich maßgeblich beteiligt. So wurde das 2003 gegen beide Länder betriebene Defizitverfahren von den EU-Finanzministern ausgesetzt – der große Sündenfall des Euro. Und wer wie Deutschland sieben Mal seit der Euro-Einführung im Jahr 1999 nicht in der Lage war, die Defizit-Obergrenze von 3,0 Prozent einzuhalten, hat kein Diplom zum Oberlehrer, wenn andere Staaten nicht haushalten können. Der Stabilitätspakt ist also zu einem Gummi-Vertragswerk mit zu großen Ermessensspielräumen geworden. Mit immer neuen machtpolitischen Argumenten wird der einstige Euro-Schwur hintergangen. Dabei wurde den Deutschen der Verlust von D-Mark und Bundesbank genau mit diesem Stabilitätspakt schmackhaft gemacht. Aber politische Interessen sind stärker als ökonomische Vernunft. Moscovici macht daraus keinen Hehl. Seiner Ansicht nach wären Strafen gegen Spanien und Portugal in Zeiten, in denen es ohnehin Zweifel an der EU gibt, kontraproduktiv gewesen. Was der Politiker dabei verschweigt: Wenn Brüssel die iberischen Länder abgestraft hätte, müsste es ebenso mit Frankreich verfahren.

Denn das Land könnte es wieder nicht schaffen, die Defizitregeln einzuhalten. Doch ein hohes Bußgeld wäre nur Wasser auf die Mühlen der rechtsextremen und europakritischen Politikerin Marine Le Pen, die sich bei der Präsidentenwahl im Frühjahr 2017 einiges ausrechnet.

So passt es auch ins Bild, dass ausgerechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zuletzt hyperaktiv in Europa herumtelefoniert haben soll, um Strafen gegen Spanien und Portugal zu verhindern. Der Taktik-Fuchs und seine Kanzlerin haben kein Interesse daran, ihrem Freund, dem konservativen spanischen Politiker Mariano Rajoy, mit hohen Bußen das Leben in seinem unregierbar scheinenden Land noch schwerer als bisher zu machen.

Bei aller politischen Taktiererei bleiben zwei elementare Dinge auf der Strecke: das Vertrauen der Bürger in den Euro und das heilige Versprechen, Länder, welche immer wieder zu hohe Schulden machen, strafend zur Räson zu rufen.

 
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