Was dürfen Medien? Diese Frage wird nach dem tragischen Absturz des Germanwings-Flugzeugs nicht nur in den sozialen Netzwerken seit Tagen heftig diskutiert. Es werde teilweise „ohne Fakten spekuliert, fantasiert und gelogen“, brachte der Vorstandsvorsitzende des Luftfahrtunternehmens Airbus, Tom Enders, auf den Punkt, was viele Kritiker empfinden. Dies sei eine „Verhöhnung der Opfer“.
Tatsächlich kann man nur den Kopf darüber schütteln, wie oft nach der Katastrophe in den französischen Alpen ethische Grundprinzipien eines seriösen Journalismus verletzt worden sind. Weil Sensationsgier und Voyeurismus eine sachliche Informationsvermittlung in den Hintergrund drängten. Weil vor allem in TV-Sondersendungen und Talkshows viel zu viele Sendeminuten mit viel zu wenig substanziellen Inhalten gefüllt werden mussten.
Dabei handelt es sich weiterhin nur um einen Verdacht, so nachvollziehbar begründet er ist, dass der Co-Pilot die Maschine mutwillig zum Absturz gebracht hat. Die Ermittler schließen aber weiterhin einen technischen Fehler nicht aus. Das wäre auch fahrlässig, solange der zweite Flugschreiber nicht gefunden ist. Medien, die dennoch Vermutungen als vermeintliche Tatsachen darstellen, handeln unverantwortlich und riskieren einen erheblichen Vertrauensverlust bei ihren Lesern.
Mir ist bewusst: Wer im Medien-Glashaus sitzt, sollte vorsichtig sein, wenn er mit Steinen um sich wirft. Natürlich ist diese Zeitung genauso wenig vor ethisch-moralisch angreifbaren Veröffentlichungen gefeit wie jedes andere Medium. Die Richtschnur für unsere Arbeit bilden umfassende „Journalistische Leitlinien“, die jedermann auf www.mainpost.de nachlesen kann. Daran wollen und müssen wir uns jeden Tag messen lassen. Dank Twitter, Facebook und Co. können Redaktionen heute nicht mehr auf dem hohen Ross daherkommen und so tun, als hätten sie die Wahrheit für sich gepachtet. Eine immer kritischere und selbstbewusstere Öffentlichkeit meldet sich auf unterschiedlichen digitalen Kanälen in Echtzeit zu Wort und weist auf Fehler oder Versäumnisse in der Berichterstattung hin. Das ist gut so – sofern es auf konstruktiv-kritische Weise und nicht in Form von wüsten Beschimpfungen geschieht.
Unsere Entscheidung, weder den Namen des Co-Piloten zu nennen, noch ihn im Bild zu zeigen, hat unter unseren Lesern zu einer breiten Diskussion geführt. Die Mehrzahl findet das gut. Selbstverständlich erreichten uns auch kritische Stimmen wie diese: „Der Rest der Welt hat aus gutem Grund entschieden, dass die Erkenntnisse der französischen Ermittler ausreichen. Zeitungen mit großer Tradition wie etwa die ,New York Times‘ ziehen daraus Konsequenzen. Und jetzt kommt Ihr und wisst das besser? Seid besser? Eine Zeitung aus Würzburg sollte es sich sehr genau überlegen, wenn sie auf Bilder verzichtet, die die großen, alten erfahrenen Partner des Tagesjournalismus bringen.“
Ja, wir haben es uns genau überlegt und bleiben zum jetzigen Zeitpunkt bei unserer Haltung. Wir sind der Meinung, dass es derzeit weder einer Namensnennung noch eines Fotos des 27-Jährigen bedarf, um alle Hintergründe zu dem furchtbaren Geschehen journalistisch fundiert auszuleuchten. Wohlwissend, dass wir damit eine Außenseiterposition einnehmen und uns gegen einige der „großen, alten erfahrenen Partner des Tagesjournalismus“ stellen.