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Leitartikel: Selbstjustiz ist keine Lösung
Von Manfred Schweidler manfred.schweidler@mainpost.de
 |  aktualisiert: 11.01.2016 15:03 Uhr

In manchen Momenten findet nicht nur die Hochspringerin Ariane Friedrich die schöne neue Medienwelt ziemlich zum Kotzen. Dann nämlich, wenn Wichtigtuer, Moralapostel oder verklemmte Spanner uns verbal anspucken können, ohne dafür belangt zu werden – das gilt vor allem für unverlangte sexuelle Angebote der widerlichsten Art wie im Fall der erfolgreichen Hochspringerin.

Wie soll man sich dagegen wehren? Tausende von Facebook-Nutzern waren spontan der Meinung: Die Reaktion von Ariane Friedrich war verständlich und sympathisch: Gleiches mit Gleichem vergelten, den Absender perverser Zusendungen anprangern und so zum Schweigen bringen. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, meint selbst ein renommierter Medienrechtler im ersten Moment.

Denn man tut sich ja schwer mit legalen Mitteln gegen den feigen Schuss aus der Hecke: Verborgen hinter falschen Namen dürfen im Netz Meinungen verbreitet werden, zu denen kein Absender öffentlich steht. Die Anonymität, die das Netz erlaubt, ist geradezu eine Einladung an Briefeschreiber wie den, der Ariane Friedrich belästigte: Er schickte ihr ein Foto seines Geschlechtsteils, verbunden mit einem widerlichen sexuellen Angebot.

Die spontane Wut der Athletin ist nachvollziehbar. Sie stellte den Mann an den Pranger, den sie im Verdacht hat, der Absender zu sein. Ariane Friedrich spricht für viele frustrierte Frauen, die von anonymen Feiglingen auf solche Art „angemacht“ werden. Und gerade die, die unter der Tarnkappe der Anonymität glauben, ihnen sei im Internet alles erlaubt, sind andererseits oft Mimosen, wenn sich die Regeln des Internets gegen sie kehren.

Ariane Friedrich hat nicht lange gefackelt und Name und Wohnort des Mannes genannt, den sie hinter der Nachricht vermutet. „Es gibt einen Punkt, an dem Schluss ist“, schreibt die Sportlerin. „Ich wurde in der Vergangenheit beleidigt, sexuell belästigt und einen Stalker hatte ich auch schon. Es ist Zeit, zu handeln, es ist Zeit, mich zu wehren. Und das tue ich. Nicht mehr und nicht weniger.“

Man möchte ihr wirklich recht geben – aber gerade sie als Polizistin muss gelernt haben, dass Selbstjustiz eine schlechte Lösung ist.

Kann sie sicher sein, dass sie nicht einen Unschuldigen an den Pranger stellt? Wenn nicht, war das die falsche Reaktion. Denn die technischen Möglichkeiten des Internets erlauben auch, E-Mails unter falscher Identität zu schicken. Wie muss sich der unschuldige echte Träger des Namens fühlen, wenn er für etwas geradestehen soll, das ein trickreicher Dritter unter seinem Namen veranstaltet hat?

So bitter es für Ariane Friedrich klingen muss: Die Unschuldsvermutung muss gelten, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Wohin das sonst führt, haben wir gerade bei der Suche nach einem Kindermörder in Emden gesehen: Ein 17-Jähriger geriet in Verdacht. Schnell wurde auf Facebook sein Name veröffentlicht – und schon spielte der Mob mit den Muskeln. An „Kopf ab, Schwanz ab“-Parolen fehlte es nicht. Nur dumm, dass sich später die Unschuld des Verdächtigen herausstellte.

Das gilt auch hier: In dem Ort, den die Sportlerin nennt, gibt es mindestens zwei Männer des Namens, die sie anprangert. Mindestens einer von ihnen ist definitiv unschuldig – also ebenso zum Opfer geworden wie Ariane Friedrich.

 
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    einerseits verstehe ich diese gezielte Rückattacke von ihr, andererseits muss ich dem Autoren des Artikels Recht geben, denn man kann auch aus Versehen Unschuldige mit hineinziehen, Ein guter Ruf ist immens schnell zerstört, aber selbst nach dem Unschuldsbeweis nie wieder so herstellbar.
    Gerade in Social-Media ist es sehr leicht, eine Hatz zu starten, wo der Mob durch dessen Herdentrieb gerne mit einstimmt.
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