Hat da einer noch Größeres vor? Bislang ist Olaf Scholz nicht gerade als Antreiber der Großen Koalition und als Vordenker der SPD aufgefallen. Im Gegenteil, der Finanzminister verteidigte in den ersten Monaten im Amt derart vehement die schwarze Null gegen alle Ausgabenwünsche seiner Kabinettskollegen, dass er selbst von seinen Parteifreunden als „Olaf Schäuble“ verspottet wurde, während ihn die Union gerade deswegen in den höchsten Tönen pries. Verkehrte Welt in Berlin.
Doch seit einigen Tagen ist nichts mehr so, wie es war. Mit seinem Vorstoß, das Rentenniveau nicht nur, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, bis zum Jahr 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent festzuschreiben, sondern bis zum Jahr 2040, hat Scholz eine neue Rentendebatte in der Koalition eröffnet – und sich selber an die Spitze der Sozialpolitiker in der SPD gestellt.
Nicht Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles, die nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist, auch nicht Generalsekretär Lars Klingbeil, der qua Amt inhaltlich vorpreschen darf, und erst recht nicht Sozialminister Hubertus Heil, der gerade erst sein Rentenpaket geschnürt hat, sondern ausgerechnet der eher spröde und pragmatische Olaf Scholz, der sich selber und seiner Partei strikte Haushaltsdisziplin verordnet hat, reißt damit die Initiative an sich und schärft das Profil seiner Partei.
Große Koalition erneut in schweres Fahrwasser geraten
Die Union hat der Finanzminister damit kalt erwischt, ein Gipfeltreffen im Kanzleramt am Samstagabend ging ohne Ergebnisse zu Ende, der Streit schwelt weiter. Gerade einmal fünf Monate nach der Regierungsbildung ist die GroKo erneut in schweres Fahrwasser geraten.
Das ist umso überraschender, als ausgerechnet an der Rentenfront Ruhe zu herrschen schien. In den Koalitionsverhandlungen hatten sich CDU, CSU und SPD auf ein üppiges Paket mit doppelten Haltelinien beim Beitragssatz und Rentenniveau bis 2025, auf eine weitere Ausweitung der Mütterrente, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sowie eine Entlastung von Geringverdienern geeinigt, eine unabhängige Kommission sollte ein Konzept für die Zeit nach 2025 erarbeiten. Mit seinem Vorstoß hat Scholz die Arbeit dieser Kommission de facto obsolet gemacht, zumal er auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ablehnt.
Höhere Beitragssätze oder die Bundeszuschüsse aufstocken
Da aber auch der Finanzminister die Grundregeln der Mathematik nicht außer Kraft setzen kann, bleiben langfristig nur noch zwei Stellschrauben: Entweder steigen die Beitragssätze nach 2025 auf über 25 Prozent an – oder der Bund muss seine Zuschüsse, die sich bereits heute auf knapp 100 Milliarden Euro (und damit ein Drittel des Bundesetats) belaufen, erheblich erhöhen. Das wäre dann nur über Steuererhöhungen zu finanzieren.
Der SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs bringt bereits die Finanztransaktionssteuer oder eine Sondersteuer für große Vermögen ins Spiel. Die bittere Wahrheit hingegen, dass mit ständig steigender Lebenserwartung und somit auch steigender Rentenbezugsdauer die Lebensarbeitszeit steigen muss, will den Sozialdemokraten nicht über die Lippen kommen.
CDU und CSU sind in die Defensive geraten. Nun rächt sich, dass sie das Thema Rente im Wahlkampf ausklammerten und die ureigenste Aufgabe, Lösungen für die Zeit nach 2025 zu finden, an eine Kommission delegieren wollten. Das war zwar bequem, aber auch fahrlässig. Olaf Scholz hat diese Strategie durchkreuzt.
Der nächste Wahlkampf wird ein Rentenwahlkampf werden, die Rentner sind eine Macht, als stärkste Wählergruppe entscheiden sie die Wahl. Und Scholz? Strebt er in der Rolle des „Die-Rente-ist-sicher-Olaf-Blüm“ die Kanzlerkandidatur an? Den Boden dafür bereitet er schon mal vor.