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KÖLN
Leitartikel: Relativieren bringt nichts
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 07.02.2016 03:39 Uhr

Wer Ende 2015 geglaubt hatte, die Flüchtlingsdebatte könnte nicht hitziger werden, wurde in den ersten Tagen des neuen Jahres eines Besseren belehrt. Seit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln droht die Stimmung im Land vollends zu kippen. Der Hass gegen alles Fremde bricht sich Bahn. Wohin das im Extremfall führen kann, zeigte sich am Sonntag, als sich mutmaßlich Rechtsextreme in Köln verabredet hatten, um regelrecht Jagd auf Ausländer zu machen. Andere reagieren derweil teils mit deplatzierten Relativierungen. Dabei braucht Deutschland gerade jetzt vor allem eines: eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen Flüchtlinge und Integration, geprägt von Ehrlichkeit, Seriosität und Besonnenheit.

Doch das wird immer schwieriger. Wer seriös diskutieren will, verausgabt sich schon dabei, gegen Gerüchte und Vorurteile zu argumentieren. Die Übergriffe an Silvester sind Wasser auf den Mühlen derer, die schon seit Monaten den Untergang des Abendlandes am Horizont aufziehen sehen. Muslime und Migranten werden unter Generalverdacht gestellt. Dass im Internet Gerüchte über angebliche sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen gestreut werden, ist nicht neu. Nach Köln schüren sie aber noch stärker Panik.

Doch die Schande der Silvesternacht zu verharmlosen, hilft in der Diskussion auch nicht weiter. Denn es geht hier nicht nur um „ein paar grapschende Ausländer“, deren Übergriffe gegen Frauen nur „ein Fall für den Kölner Stadtrat“ seien, wie Publizist Jakob Augstein meint. Es geht um ein Phänomen, das an Silvester nicht nur in Köln, sondern in mindestens sechs weiteren deutschen Städten sowie in Österreich, der Schweiz, Schweden und Finnland beobachtet wurde. Opfer sprachen immer von „arabischen oder nordafrikanischen“ Tätern.

Der häufig bemühte Vergleich mit sexuellen Belästigungen auf dem Oktoberfest taugt da nicht. Zwar macht es keinen Unterschied, ob eine Frau von einem deutschen Festzeltbesucher sexuell belästigt wird oder von einem arabischen Asylbewerber. Jeder Übergriff ist einer zu viel. Es ist aber sehr wohl ein Unterschied, ob es sich um einen spontanen Einzeltäter handelt oder um mehrere Männer, die sich womöglich zu der Straftat verabredet haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich nun das BKA mit dem Phänomen der gemeinschaftlichen sexuellen Belästigung von Frauen – wie es die Behörden aus arabischen Ländern kennen – beschäftigen will.

Das heißt nicht, dass sich Araber in ihrer Heimat vor allem damit die Zeit vertreiben, Frauen zu belästigen. Wenn einige aber das Phänomen nach Deutschland tragen, muss man das benennen und bekämpfen. Das sind Politik, Justiz und Medien nicht nur allen Frauen schuldig, die nun verständlicherweise verunsichert sind. Duckt man sich weg, schadet das auch den unbescholtenen Asylbewerbern und Migranten: Schließlich darf nicht der Verdacht entstehen, dass ausländische Straftäter geschont werden, wie einige behaupten. Nur so kann Generalverdacht im Keim erstickt und Vertrauen in den Rechtsstaat gesichert werden.

Die Politik muss die Silvesternacht aufarbeiten und Konsequenzen aus den noch laufenden Ermittlungen ziehen – unpopulistisch und rational. Probleme bei der Integration müssen offen thematisiert werden, ohne dabei Gerüchte und Wahrheit zu vermengen. Und die Deutschen dürfen nicht den Facebook-Kommentatoren die Deutungshoheit beim Thema Flüchtlinge überlassen.

 
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  • pmueller55
    ..... hätte man seitens der Verantwortlichen wissen müssen, dass junge Männer aus dem arabisch, islamischen Raum mit dem auftreten Junger Frauen in Deutschland, Schweden etc. nicht zurecht kommen. Der Genuss von reichlich Alkohol trägt dann auch noch dazu bei. Ich war in 5 Jahren 13 mal in Ägypten und habe erlebt wie junge Männer auf hellehäutige Frauen los gehen - sei es nun verbal oder körperlich. Die Politik darf jetzt auf keinen Fall den Fehler machen diese Vorfälle zu verharmlosen. Als ich den Bericht des Innenministers gelesen habe wurde mir erstmal richtig übel.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    und zwar rasch und umfassend.

    Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, solche Taten würden toleriert oder bestenfalls müde nolens-volens verfolgt. Im Prinzip ist das Bandenkriminalität - wer sowas (organisiert und) macht, muss so schnell es geht ermittelt und bestraft werden (und zwar mMn am besten ohne zwischendurch nochmal auf freien Fuß zu gelangen). Bei Einheimischen mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung und bei "importierten" Kriminellen mit sofortiger Abschiebung ins "Heimatland"/ Erklärung zur persona non grata.

    Es gibt Sachen, die gehen einfach nicht, und wenn man da die Zügel schleifen lässt, tut man niemandem einen Gefallen.
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