Da ist die Zahl der Asylanträge deutlich zurückgegangen auf einen Wert weit unter seiner alten Obergrenzen-Forderung – und Horst Seehofer verkneift sich jegliches Triumphgehabe. Aus gutem Grund. Die gesunkene Zuwanderung über das Asylsystem hat viele Ursachen, darunter das Abkommen der EU mit der Türkei, die Schließung der Balkanroute oder fragwürdige Deals mit afrikanischen Potentaten.
Das Gepolter Seehofers, der in Migrationsfragen die „Mutter aller Probleme“ zu erkennen glaubte, hat indes kaum dazu beigetragen, die Lage zu entschärfen. Im Gegenteil. Mit seinen markigen Forderungen hat er Union und Bundesregierung mehrmals an den Rand des Bruchs gebracht. Am Ende aber musste er stets klein beigeben. Die Folge: Einwanderungsskeptiker unter den CSU-Anhängern zweifelten an Seehofers Durchsetzungskraft und wanderten zur AfD ab. Kirchlich engagierte Christsoziale dagegen vermissten an ihrer Parteispitze zunehmend Menschlichkeit und Nächstenliebe. Und in der Wirtschaft regte sich der Ärger, wenn Flüchtlinge mit Job oder Lehrstelle abgeschoben wurden.
Seehofer hat sich von seiner Brachialrhetorik verabschiedet
Bei den bayerischen Landtagswahlen bekam die CSU die Quittung. Letztlich haben Seehofers überzogene Asylattacken ihn das Amt als CSU-Chef gekostet. Was ihm auf der Zielgeraden seiner politischen Karriere bleibt, ist sein Superministerium, zu dessen Zuständigkeiten eben auch die Migration gehört. In diesem Feld wird sich entscheiden, wie Seehofer den Deutschen in Erinnerung bleiben, was in den Geschichtsbüchern über ihn stehen wird. Und es scheint ganz so, als habe er verstanden, dass er es lange genug erfolglos mit Brachialrhetorik versucht hat.
Dass der neue, ein Stück auf Normalmaß gestutzte Seehofer in der Asylpolitik resigniert die Zügel schleifen lassen wird, ist indes nicht zu erwarten. Zu groß sind die Herausforderungen auch in Zukunft. Der weltweite Migrationsdruck wird eher noch zunehmen. Und es ist nur realistisch, einzugestehen, dass da ein paar markige Sprüche oder nationale Alleingänge mit begrenzter Wirkung kaum etwas daran ändern können. Angesichts des humanitären Dramas, das sich auf dem Mittelmeer abspielt, wo fast täglich Flüchtlinge ertrinken, wäre eine reine Abschottungspolitik zynisch. Zuwanderung aber muss verbindlichen Regeln folgen, nur dann wird sie von einer Mehrheit der Bevölkerung auch langfristig akzeptiert.
Integration von Flüchtlingen muss zur Erfolgsgeschichte werden
Seehofer hat ganz offensichtlich begriffen, dass es wenig bringt, ständig um den Höhepunkt der Flüchtlingskrise ab dem Herbst 2015 zu kreisen, als er die „Herrschaft des Unrechts“ beklagte. An seiner ewigen Widersacherin Angela Merkel muss er sich nicht mehr abarbeiteten, das tut inzwischen die CDU selbst. Der Bundesinnenminister kann sich jetzt ganz und gar auf das konzentrieren, was zu Beginn seiner Amtszeit vor lauter Polterei zu kurz kam: mit guten, konsequenten, aber menschlichen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zur Erfolgsgeschichte werden.
Nicht nur Seehofer hat in dieser Frage hinzugelernt, wenn er nun leisere Töne anschlägt. Gleichzeitig haben auch Politiker, die vor den nicht ausbleibenden negativen Begleiterscheinungen des Flüchtlingszustroms lange die Augen verschlossen haben, mehr Sinn für die Realitäten entwickelt. In der Großen Koalition wird es nicht ohne eine neue Kompromissbereitschaft gehen, wenn nicht bei nächster Gelegenheit ein neuer Asylstreit für Endzeitstimmung sorgen soll.
Die aktuellen Asylzahlen haben gezeigt, dass vielleicht wieder Zeiten denkbar sind, in denen das Thema Migration nicht alles andere überschattet. Weniger ideologische Härte, mehr pragmatischer Realismus – das tut nicht nur Horst Seehofer gut, sondern der gesamten Zuwanderungsdebatte.