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Leitartikel: Piëch hat sich verzockt
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 04.02.2016 18:08 Uhr

Ein kurzer Satz. Nur sechs Wörter. Doch die haben es in sich: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Mit diesen Worten hat VW-Patriarch Ferdinand Piëch vor gut zwei Wochen die Volkswagenwelt erschüttert. Die Tage von Vorstandschef Martin Winterkorn schienen gezählt. Denn wenn der mächtige Aufsichtsratsvorsitzende in der Vergangenheit seinen Daumen gesenkt hat, bedeutete das in der Regel Jobverlust für den jeweiligen Spitzenmanager. Ex-VW-Chef Bernd Pischetsrieder und der frühere Porsche-Vorstandsvorsitzende Wendelin Wiedeking können ein Lied davon singen. Doch diesmal hat sich der 78-Jährige Aufsichtsratsboss verzockt – und bescherte sich damit selbst einen unwürdigen Abgang.

Viele Beobachter rätseln nach dem vorläufigen Ende des öffentlichen Machtkampfs weiterhin über die Motive Piëchs. Winterkorn war sein Ziehsohn. Gemeinsam verfolgten sie das große Ziel: VW zum weltgrößten Autobauer zu machen. Mit zunehmendem Erfolg. Toyota liegt nur noch mit knappem Vorsprung an der Spitze. Außerdem schien es längst ausgemachte Sache zu sein, dass Weggefährte Winterkorn Piëch als Aufsichtsratsvorsitzender beerbt. Und dann, wie aus heiterem Himmel, dieser folgenschwere Satz des Patriarchen. Steckt möglicherweise ein persönliches Zerwürfnis mit Winterkorn dahinter? Oder hatte Piëch etwa fachliche Zweifel an seinem langjährigen Vertrauten? Schließlich gilt Piëch als ein Mann, der Gefahren früher als jeder andere wittert.

Es ist nämlich keineswegs so, dass beim Volkswagen-Konzern mit seinen zwölf Marken, 200 Milliarden Euro Umsatz und 600 000 Mitarbeitern alles eitel Sonnenschein ist. Verglichen mit anderen Automobilherstellern ist die Gewinnspanne eher niedrig. In Nordamerika setzt VW zu wenig Autos ab. Das Werk in Tennessee ist deshalb nur mäßig ausgelastet. Von einer falschen Modell-Politik für den US-Markt ist die Rede. Kritiker vermissen außerdem eine Kleinwagen-Strategie und einen Innovationsschub bei der Premiummarke Audi. Das alles konnte dem erfolgsbesessenen Mann nicht gefallen, der von sich sagt, drei Dinge seien ihm im Leben wichtig: Volkswagen, Familie, Geld – und zwar in dieser Reihenfolge. Andererseits kann sich die Bilanz von Konzernboss Winterkorn sehen lassen: Konzernumsatz nahezu verdoppelt, Gewinn fast verdreifacht.

Doch nicht Winterkorn muss seinen Hut nehmen, sondern sein einstiger Förderer hat sich verspekuliert und gibt den Aufsichtsratsvorsitz auf. Ausgerechnet er, der gewiefte Taktiker, hat seine Macht überschätzt. Der Österreicher hat nicht damit gerechnet, dass der Aufsichtsrat seinem einstigen Intimus den Rücken stärkt und sich gegen den Vorsitzenden des Kontrollgremiums stellt. Eine fatale Fehleinschätzung, die das würdelose Ende einer glanzvollen Karriere in der Automobilbranche bedeutet.

Jetzt gilt es erst einmal, Ruhe in den aufgewühlten Konzern zu bringen. Dort herrscht verständlicherweise große Aufgeregtheit bei Belegschaft und Management. Wichtig wird sein, so schnell wie möglich einen Nachfolger für Piëch zu präsentieren. Das Vorschlagsrecht hat die Kapitalseite. Von dort heißt es, dass es jemand aus dem Porsche/Piëch-Clan werden soll. Oder fällt die Wahl am Ende doch auf Martin Winterkorn? Sein Vertrag als Vorstandsvorsitzender läuft allerdings bis Ende 2016. Sicher scheint nur: Ursula Piëch wird es nicht. Sie hat das Kontrollgremium zusammen mit ihrem Mann verlassen.

 
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