Die Granden der CDU waren empört. Als die SPD vor einer Woche auf ihrem Leipziger Parteitag beschloss, künftig rot-rot-grüne Bündnisse nicht mehr kategorisch auszuschließen, reagierte die Union verschnupft. Das sei, als würde man vor einer Hochzeit eine Kontaktanzeige aufgeben und auf Brautschau gehen. Doch nun treibt es ausgerechnet die CDU noch toller: Die Große Koalition in Berlin ist noch längst nicht in trockenen Tüchern, da folgt dem Flirt mit den Grünen schon der Einzug in die gemeinsame Wohnung. In Berlin wollen junge Abgeordnete von Union und Grünen die legendäre Bonner Pizza-Connection wiederbeleben, in Hessen strebt CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier sogar eine schwarz-grüne Koalition an.
Die Botschaft, die Christ- wie Sozialdemokraten mit einem dicken Ausrufezeichen an die Gegenseite senden, ist jeweils die Gleiche: Wir können auch anders! Zwei Monate nach der Bundestagswahl fügen sie sich auf Bundesebene einerseits in das Unvermeidliche und schließen mit wenig Begeisterung ein Regierungsbündnis ab, zu dem es derzeit keine Alternative gibt, andererseits bereiten beide mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2017 bereits den Boden für neue Optionen vor, damit mathematischen Mehrheiten im Parlament auch tatsächliche politische Mehrheiten folgen können. Jetzt soll gesät werden, damit spätestens in vier Jahren die Ernte eingefahren werden kann.
Es bewegt sich etwas in Deutschland, die Parteienlandschaft verändert sich, die Republik könnte noch bunter werden – und die Länder dienen einmal mehr als Experimentierfeld für neue Farbenkombinationen. So gab es bereits rot-gelb-grüne Ampeln in Brandenburg und Bremen in den 90er Jahren, Rot-Rot in Berlin, Mecklenburg-Vorpom-mern und unverändert in Brandenburg, eine schwarz-grüne Koalition in Hamburg sowie das schwarz-gelb-grüne Jamaika-Bündnis im Saarland. Nun unternehmen Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir in Hessen, wo schon Holger Börner und Joschka Fischer 1985 das erste rot-grüne Bündnis schlossen, den Versuch, die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland zu bilden. Das ist nicht ohne Risiken, und dürfte doch die Republik verändern.
Für Union und SPD ist es strategisch wichtig, eigene mehrheitsfähige Optionen jenseits der Großen Koalition zu haben, das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag hat diesen Prozess beschleunigt. CDU/CSU haben damit ihren „natürlichen“ Partner im bürgerlichen Lager verloren, dieses Vakuum in der Mitte mit der Funktion einer echten Scharnierpartei könnten nunmehr die Grünen übernehmen, offen nach rechts wie links. Die SPD wiederum muss nach drei verlorenen Bundestagswahlen in Folge die Konsequenzen daraus ziehen, dass es für Rot-Grün alleine nicht reicht. Gleichzeitig erhöht das Angebot an die Linkspartei den Druck auf die Dunkelroten, ihren Kurs der strikten Fundamentalopposition aufzugeben und bereit für Kompromisse zu werden.
Alles ist möglich. Vielleicht erklärt dies neben seiner enormen wirtschaftlichen Stärke den Erfolg Deutschlands. Verhältnisse wie in den USA, England und Frankreich, wo sich die politischen Lager feindlich gegenüberstehen und blockieren, sind hierzulande in der auf Konsens ausgerichteten föderalen Struktur und dem Ausgleich zwischen Bundestag und Bundesrat nicht möglich.