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Leitartikel: Organspende ist Privatsache
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.05.2019 02:11 Uhr

Fragen von Leben und Tod beantwortet der Mensch selten rational. Etwa 80 Prozent der Deutschen halten eine Organspende für eine vernünftige Sache – aber nicht einmal die Hälfte von ihnen hat auch einen Spenderausweis. Wie wichtig es ist, diese Lücke zwischen prinzipieller und tatsächlicher Bereitschaft zu schließen, zeigt schon die schiere Zahl von 10 000 Menschen, die in Deutschland auf eine Niere, ein Herz oder eine Leber warten. Aber darf der Staat seine Bürger deshalb sanft dazu zwingen, zu Organspendern zu werden?

Die sogenannte Widerspruchslösung, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der SPD-Experte Karl Lauterbach und eine Reihe weiterer Abgeordneter aus den anderen Parteien mehr Organspender gewinnen wollen, bewegt sich in einem ethischen Grenzbereich. Jeder Mensch, der einer Organspende zuvor nicht explizit widersprochen hat, wäre nach seinem Tod ein potenzieller Spender.

Faktisch würde der Staat damit eine Art Organabgabepflicht einführen: Wer sein Leben lang zu bequem war, sich mit dem Thema zu beschäftigen, oder sich vielleicht noch kein abschließendes Urteil gebildet hat, würde nach seinem Tod automatisch zur Ressource für verwertbare Organe.

Nur jeder dritte Deutsche steht hinter der Widerspruchslösung

Spahn und Lauterbach werten einen unterlassenen Widerspruch bereits als Zustimmung – auch juristisch ein Grenzfall. Beim Datenschutz, zum Beispiel, müssen Betroffene eine Nutzung ihrer Daten ausdrücklich erlauben. Bei der Organspende würden sie ihr Einverständnis schon dadurch erteilen, dass sie nichts unternehmen.

Abgesehen davon, dass der Staat sich in Angelegenheiten von Leben und Tod so weit wie nur irgend möglich heraushalten sollte, hat die Widerspruchslösung auch noch einen anderen, handfesteren Nachteil: Nur jeder dritte Deutsche steht hinter ihr – was nicht alleine an der Lösung selbst liegt, sondern auch an den Wissenslücken, die viele Menschen in Umfragen einräumen. Wann und wie wird der Hirntod eigentlich festgestellt, der Voraussetzung für eine Organspende ist?

Viele Menschen verspüren ein diffuses Unbehagen

Kann es sein, dass er möglicherweise zu früh oder falsch diagnostiziert wird? Und wie werde ich, ganz praktisch, überhaupt zum Spender? Jeder zweite Bundesbürger fühlt sich beim Thema Organspende bisher schlecht informiert. Dazu kommt ein generelles Misstrauen nach den Transplantationsskandalen, als Ärzte Akten fälschten, um ihre Patienten auf den Wartelisten zu vorderen Plätzen zu verhelfen.

Das diffuse Unbehagen, das viele Menschen heute beim Thema Organspende verspüren, wird ihnen die Politik sicher nicht mit einem weitreichenden Eingriff in einen der intimsten Lebensbereiche überhaupt nehmen. Die Widerspruchslösung missachtet unser Recht, über uns selbst bestimmen zu können – und zwar über unseren Tod hinaus. Wie es auch gehen kann, zeigt eine ungewöhnliche Koalition, die von der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und dem CSU-Abgeordneten Stephan Pilsinger angeführt wird. In ihrem Modell fragt der Staat seine Bürger immer dann nach ihrer Bereitschaft zur Organspende, wenn sie sich einen neuen Pass oder Personalausweis ausstellen lassen. Er bietet Informationen an, eine telefonische Beratung – und die Freiheit, am Ende nicht nur mit Ja oder Nein zu antworten, sondern sich die Entscheidung weiter offen zu halten.

Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, weil für sie kein Spenderorgan zur Verfügung steht. Mit Zwang allerdings, und sei es nur ein indirekter, wird die Politik an diesem erschreckenden Befund nichts ändern.

 
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Kommentare
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  • Rechtspopulist
    Kein Zwang

    Wenn man problemlos widersprechen kann, ist es kein Zwang, auch kein indirekter. Man kann ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein, aber das sind einfach falsche Behauptungen, die da aufgestellt werden.

    Im übrigen bedeutet eine Ablehnung der Organspende faktisch nichts anderes als "Meine Organe sollen lieber in der Erde verbuddelt werden, als das sie jemand bekommt, der sie dringend braucht." Diese Einstellung ist entgegen der öffentlich allseits bekundeten Meinung ethisch sehr wohl verwerflich, vor allem weil niemand von einer Organspende einen Nachteil hat.
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