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Leitartikel: Ohne Führung geht es nicht
Von Martin Ferber red. politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 23.12.2015 11:51 Uhr

Anders als alle anderen wollten sie sein. Keine strenge Hierarchie, kein oben, kein unten, sondern das gleiche Mitspracherecht für jeden. „Likedeeler“ wurden sie genannt, „Gleichteiler“, weil sie ihre Beute gerecht untereinander aufteilten und über ihre Kaperfahrten frei entschieden. Und doch kamen die Vitalienbrüder, die um 1400 als Piraten den etablierten Kaufleute der Hanse den Kampf angesagt und die Ostsee unsicher gemacht hatten, ohne Anführer nicht aus. In die Geschichtsbücher sind Klaus Störtebeker und Gödeke Michels als ebenso verwegene wie von ihren Mannschaften verehrte Piratenchefs eingegangen.

Auch die modernen Nachfahren von der Piratenpartei, die als Freibeuter der Politik den etablierten Parteien den Kampf angesagt haben und die Parlamente aufmischen, wollen anders sein als alle anderen. Keine strenge Hierarchie, kein oben und unten, keine Führungsgruppe, die in dunklen Hinterzimmern alle wichtigen Entscheidungen trifft und die Basis vor vollendete Tatsachen stellt, sondern das gleiche Mitspracherecht für jeden bei allen Entscheidungen. Niemand soll zu mächtig werden, keiner darf das Kommando übernehmen. Und so wehren sie sich mit den modernen Mitteln der Kommunikation von Twitter über SMS bis Facebook gegen ihre eigenen Anführer und machen ihnen das Leben schwer. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen: In dieser Woche schmissen völlig frustriert zwei Landesvorsitzende, Lars Pallasch aus Baden-Württemberg und Michael Hensel aus Brandenburg, die Brocken hin, gleichzeitig läuft seit Mittwoch eine Online-Umfrage des Bundesvorstands unter den Mitgliedern, ob es auf dem Parteitag zu vorgezogenen Neuwahlen der Parteispitze kommen soll.

Es ist der Fluch des eigenen Erfolges. Die Triumphe bei den Landtagswahlen von Berlin über das Saarland bis Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen kamen für die Newcomer viel zu schnell und überdeckten die gravierenden inhaltlichen Leerstellen und die gewaltigen personellen Probleme. Die Neigung der Partei, die fehlende Programmatik als Ausdruck von besonderer Offenheit zu verkaufen und ausschließlich auf die „Schwarmintelligenz“ zu setzen, erwies sich im politischen Alltagsgeschäft schnell als Nachteil, wo immer wieder rasch auf neue Entwicklungen reagiert werden muss. Erst recht führte die geradezu manische Sucht der Piratenbasis, auf jede Äußerung ihrer Spitzenleute mit einer Flut von „Shitstorms“ zu reagieren und das eigene Führungspersonal mit Wonne zu demoralisieren, zu den nun offen zutage tretenden Personalquerelen. Der Konflikt zwischen Parteichef Bernd Schlömer und dem polarisierenden Geschäftsführer Johannes Ponader spaltet die Partei und lähmt die überfällige inhaltliche Arbeit, gleichzeitig machen Zahlen die Runde, wonach bislang nur ein Drittel der Mitglieder seinen Beitrag zahlt.

Ohne Anführer geht es nicht. Das mussten vor gut 30 Jahren schon die Grünen in einem langen und bitteren Prozess lernen. Eine Partei braucht, selbst wenn sie auf offene Strukturen und breite Mitwirkung der Basis setzt, eine Führungsgruppe, die das Mandat hat, für die Gesamtpartei zu sprechen, ohne dass jede Äußerung einen Sturm der Entrüstung auslöst. Eine Partei braucht profilierte Köpfe, die in der Öffentlichkeit für bestimmte Themen stehen und den Kurs bestimmen. Und eine Partei braucht, um langfristig bestehen zu können, einen programmatischen Markenkern und ein klares Profil, mit dem sie sich von den anderen absetzen kann. Nur gegen alles zu sein, ist auf Dauer zu wenig.

 
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