Es ist gerade zwei Wochen her, da hat Barack Obama in einer Grundsatzrede Erfolge für seine Außenpolitik reklamiert: „Wir haben unsere Truppen aus dem Irak abgezogen. Wir beenden unseren Krieg in Afghanistan.“ Nach allem, was man über die Qualität der irakischen Sicherheitskräfte heute weiß, war der dortige Abzug zwar vom örtlichen Parlament gewollt, aber verfrüht. Die professionell agierenden Isis-Milizen bei Mossul lassen nicht nur El Kaida gemäßigt erscheinen. Ihr rasanter Geländegewinn rückt ein Bürgerkriegschaos wie im benachbarten Syrien näher und sogar einen militanten Islamistenstaat über Ländergrenzen hinweg. Jetzt schon sind die Angreifer im Besitz eroberter US-Waffen, die sie mit syrischen Rebellen tauschen – ein Chaos, das zeigt, wie heikel jedes Engagement in der Gegend bleibt.
Aber die neue Entwicklung lässt den USA keine Wahl: Präsident Barack Obama hat Militärhilfen angekündigt, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Washington Bagdad mit Luftschlägen zu Hilfe eilt. Dass es überhaupt so lang gedauert hat, liegt an dem Versuch, Präsident Nuri al-Maliki Zugeständnisse an die sunnitische Minderheit abzuringen. Ohne diesen Grundkonflikt zu befrieden, gibt es keine Lösung.
Dass die Sunniten ihrerseits zersplittert sind, macht die Sache nicht einfacher. Bislang hat Al-Maliki aber auch gar keine Anstalten gemacht, seine autokratische Amtsführung zu verändern, im Gegenteil: Bis zuletzt hat er versucht, aus der Krise Kapital zu schlagen. Hätte das Parlament ihn wie gewünscht mit Notstandsrechten ausgestattet, hätte es für ihn kaum noch Grenzen gegeben.
Die Regierung hat bei Sunniten und Kurden so viel Vertrauen zerstört, dass viele von den Rebellen weniger befürchten als von ihren eigenen Sicherheitsorganen. Auf Dauer ist der Irak deshalb nur zu retten, wenn sich dort eine Elite findet, die allen Bevölkerungsgruppen im Land einen Neuanfang vermitteln kann.
In den USA interessieren sich nicht alle für diese Details. Dort wird das größere Bild diskutiert: Obamas zögerliches Operieren hat weder Syrien noch Libyen Glück gebracht. Der Rückzug aus dem Irak war offenbar verfrüht; viele erwarten ein ähnliches Desaster in Afghanistan. Die Aufzählung ist unvollständig, aber sie illustriert ein Dilemma: Es ist gut möglich, dass Obamas national orientierte Präsidentschaft am Ende von einer außenpolitischen Negativbilanz erschlagen wird. Die Anzahl der Krisenherde bestätigt allerdings auch seine Einschätzung, dass die USA militärisch überfordert wären, wollten sie überall eingreifen.
Nicht nur in Ländern des Arabischen Frühlings bröckeln willkürlich gezogene Grenzen. Manchmal ist es kein Zynismus, sondern ein Anerkennen der Realität, wenn Fachleute sagen, dass die Welt solchen Kämpfen nicht immer etwas entgegensetzen kann. Einen professionell aufgezogenen Terroristenstaat kann sie sich allerdings nicht leisten. Washington wird deshalb gut daran tun, die Vereinten Nationen an ihre Verantwortung zu erinnern. Den Irak unter Verweis auf die Invasion von 2003 als Privatproblem der USA anzusehen, ist nicht nur bequem, sondern auch verfehlt: Was dort heute geschieht, hat weitaus mehr mit Syrien zu tun als mit George W. Bush. Es ist der Angriff auf ein Wertesystem, das längst nicht nur den Westen betrifft. Der Irak und Syrien liegen vor Europas Haustür.