Wolf Biermann beschimpft die Linke im Deutschen Bundestag als „Drachenbrut“ und „den elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist“. Linksfraktionschef Gregor Gysi wiederum beklagt in der Gedenkstunde zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, dass die beiden deutschen Staaten nicht vereinigt wurden, sondern die DDR der BRD lediglich beigetreten ist. Beide liegen falsch, weil sie nur zurückschauen und Gräben aufreißen, die längst verschüttet sind.
Natürlich gehen uns in diesen Tagen die Bilder von damals wieder durch den Kopf, die friedlichen Demonstrationen, die Trabis, die ersten Kontakte und Freundschaften zwischen Ost und West. Es war eine aufregende, eine schöne Zeit. Es folgte der Alltag, mit ihm auch Ernüchterung und die eine oder andere Enttäuschung – auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze.
25 Jahre danach sollten wir aufhören, nach dem Trennenden zu suchen, sollten uns von alten Klischees verabschieden. Ost und West unterscheiden sich kaum mehr als Nord und Süd. Digitaler Umbruch, Klimakatastrophe, soziale Ungleichheiten und der demografische Wandel heißen die aktuellen Herausforderungen – und das gleichermaßen in Ost und West.
Zudem stimmt es einfach nicht, dass am 9. November vor 25 Jahren nur das Ende der DDR eingeläutet wurde, es war genauso auch das Ende der alten BRD. Denn was ein Jahr später, am 3. Oktober, offiziell gefeiert wurde, war ein neuer Staat. Auch wenn es zunächst wie ein Beitritt aussah, Grundgesetz, Hymne und viele Westbehörden übernommen wurden. 25 Jahre später wissen wir, es entstand ein völlig neues Deutschland.
Ein Deutschland, in dem der sich siegreich wähnende Kapitalismus einen gemütlichen Sozialstaat ablöste, bis dieser enthemmte Kapitalismus selbst in eine (Finanz-)Krise stürzte. Die Bonner Republik zog nach Berlin, doch nicht nur deshalb wurde ein wenig altes Preußentum restauriert. Es entstand ein Staat, in dem die Flaggen wieder geschwungen werden, der auch militärisch Verantwortung übernimmt, der seine starke Rolle in Europa ausspielt. Während die Bonner Republik mit Demut auf ihre Geschichte blickte und sich jegliche Großmannsucht von selbst verbat.
Durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten entstand eine starke linke politische Kraft. Nicht als „Drachenbrut“, sondern als Beleg politischer Normalität innerhalb Europas. Aber auch der rechte Rand wuchs, Ausländer- und demokratiefeindliche Parteien waren und sind erfolgreich. Dafür verschwand die einzige liberale Partei aus dem Bundestag, die die alte BRD prägte und im neuen Deutschland nur von ganz wenigen vermisst wird.
An Gedenktagen blickt man zurück, das haben sie so an sich. Aber wir sollten es tun, um den Blick nach vorne zu schärfen. Das geht nicht, wenn schon der Blick zurück verklärt wird. Doch bei so mancher Gedenkfeier in diesen Tagen fragt man sich, wie die DDR, die keiner wirklich wollte, 40 Jahre existieren konnte.
Auch das vereinte Deutschland hat Feinde, die die Demokratie attackieren oder als „System“ diffamieren. Sie zu stellen, zu benennen und mit Argumenten zu bekämpfen, sollte die Botschaft zum 9. November sein. Denn vor 25 Jahren siegte nicht der Kapitalismus über den Sozialismus, sondern Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat gegenüber Zwang, Diktatur und Willkür.